: Kunst auf sechzehn Seiten
Die ersten Durststrecken sind überwunden, das Profil ist geschärft: Seit einem Jahr erscheint in Norddeutschland das Kunstmagazin „o.T.“. Gegründet hat es eine Hamburger Galeristin – weil ihr die Medien zu wenig Rezensionen boten
Wenn ein Gemälde o.T. heißt, also keinen Titel hat, muss man sich den Rest meist selber denken. Oder aber das Kunstwerk spricht für sich. Ruth Sachse, Hamburger Galeristin und Gründerin des ersten norddeutschlandweit erscheinenden Kunstmagazins o.T., das jetzt sein Einjähriges feiert, sah es anders: Inhalte anstelle schaler Motti wollte sie in ihr 16 Seiten starkes Monatsmagazin für Kunst, Architektur und Design packen.
Vor allem aber wollte sie Raum schaffen für Kunstberichterstattung, die sie in anderen Medien vermisst. „Wenn man von den großen Zeitungen hört, dass sie jährlich eine Ausstellung pro Galerie berücksichtigen können, zermürbt einen das“, sagt Sachse. Und gründete, angespornt von gleichfalls frustrierten Kunstkritikern, ein Blatt, das überquillt vor Rezensionen und Essays und Ausstellungs-Tipps.
Das Kunstgeschehen der fünf nördlichen Bundesländer beleuchtet das kostenlose Heft, das in Museen, Kunstvereinen und Galerien ausliegt. Klassensätze für Gymnasien und Gesamtschulen im gesamten Verbreitungsgebiet liefert Sachse inzwischen auch. „Die Resonanz ist positiv: Sogar Politiker schreiben uns, dass sie uns gut finden“, sagt die Galeristin, die sich eher als „mutig“ denn als „wahnsinnig“ bezeichnet, ist die Finanzierung doch keineswegs dauerhaft gesichert.
Der Start allerdings war leicht: Eine Stiftung unterstützte die erste Ausgabe; den Vertrieb regelte während des ersten halben Jahres eine Trittbrettfahrer-Lösung: Dem renommierten Hamburger Straßenmagazin Hinz&Kunzt lag o.T. damals bei. Inzwischen hat das 50.000-fach gedruckte Kunstmagazin seinen eigenen Verteiler.
Dabei gab es natürlich auch eine Durststrecke. Im Mai vorigen Jahres war das, als die Anzeigenakquise, die die Galeristin selbst betreibt, noch nicht so gut lief. „Da haben wir eine Auszeit genommen und entschieden, nur zehn Ausgaben jährlich zu drucken. Denkpausen sind immer gut.“ Zum Beispiel fürs Profil – wobei man wissen muss: Als Alternative zum Mainstream war o.T. nie gedacht. Eher als Ergänzung des feuilletonistischen Angebots. Mainstream-nah wirken einige Titel in der Tat: „Abseits“ hieß o.T. zur Fußball-WM, auf die große China-Ausstellung in der Kunsthalle bezog sich die September-Ausgabe. Das Oktober-Heft galt dem Hamburger Design-Festival.
Schwimmt o.T. also doch im Strom? „Das sind Dinge, die wir – zwei Redakteure, die Graphikerin und ich – immer wieder neu diskutieren“, sagt Sachse. „Das ist ein Prozess, in dessen Verlauf wir auch beschlossen haben, künftig Themenhefte zu konzipieren.“
Mit US-Kunst im Norden befasst sich zum Beispiel die auf 24 Seiten aufgestockte Februar-Ausgabe. Die entsprechende Ausstellung im Bucerius Kunstform diene nur als Anlass, versichert Sachse. Und das Heft zum Einjährigen? Wird schlicht „Schwarz“ heißen. Anlass ist die im März startende Schau „Das Schwarze Quadrat“ in der Hamburger Kunsthalle.
Wie lange o.T. noch leben wird? „Noch lange, da bin ich sicher“, sagt Ruth Sachse. Und rudert sich elegant vom Vorwurf des Eigennutzes frei. „Erstens kommt meine Galerie in dem Heft nicht dominant vor. Zweitens: Wenn ich etwas Eigennütziges tue, dann für die gesamte Kunstszene im Norden.“ PETRA SCHELLEN
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