ERWIN IST WEG
: Wo ist unser Obdachloser?

Erwin ist weg. Seit Donnerstag. Der Obdachlose lebt nicht mehr auf dem Zeppelinplatz in Wedding. Dabei wohnte, saß und schlief Erwin, der auf seinen Nachnamen keinen Wert legt, seit dem Sommer auf einer Parkbank unweit des Rathauses. Es ist ein verkehrsberuhigter Flecken, von Leuten viel frequentiert.

Wenn es stimmt, was Erwin erzählt, ist er 16 Jahre ohne festen Wohnsitz. Ohne festen Wohnsitz? Die Bank war das für ihn. Er saß dort bei Hitze, bei Regen, bei Frost. Anfangs passte sein Besitz in einen Einkaufswagen. Später stapelte er Schuhe, Planen, Decken und Lebensmittel auch unter der Parkbank. Denn die AnwohnerInnen hatten Mitleid. Sie brachten Erwin warme Sachen und zu essen. Einige boten ihm gar an, bei ihnen zu wohnen. Aber Erwin hält es nur draußen aus. In Notübernachtungen geht er nicht: „Da wird geklaut.“ Erwin ist ein schwieriger Fall, ohne Ausweis, ohne Sozialhilfe. Irgendwie geduldet und versorgt von den AnwohnerInnen. „Unser Obdachloser eben.“ Bis vorgestern.

Da tauchten zwei Damen vom Ordnungsamt auf. Mit Polizei als Verstärkung. Die forderte Erwin auf zu gehen. „Wohin?“, fragten Leute, die sich sogleich einfanden. „Verjagen löst doch nichts.“ Die Polizisten sagten: „Von uns aus kann er bleiben, aber das Ordnungsamt hat um Amtshilfe gebeten.“ Eine Weile debattierten die Leute, bis es der Polizei zu bunt wurde. „Wenn wir wiederkommen, sind Sie weg.“ Nun ist die Bank leer.

Wo ist Erwin? Im Bezirk weiß man von nichts. Stadtrat Joachim Zeller, der das Ordnungsamt leitet, kennt den Vorgang nicht. Die Fachstelle für Wohnungsnotfälle bekommt ohne Nachnamen nichts raus. Dem Sozialpsychiatrischen Dienst ist nichts von einem Obdachlosen zu Ohren gekommen, der auf dem Zeppelinplatz lebte. Bei der Polizei ist Erwin nicht aktenkundig, da er keine Straftat begangen hat. Nur, wo ist er? WALTRAUD SCHWAB