Politischer Streit auf Kosten der Opfer

Nach Vorwürfen zweier sunnitischer Frauen im Irak, sie seien von schiitischen Soldaten vergewaltigt worden, zeigt sich das ganze Ausmaß der tiefen konfessionellen Spaltung des Landes. Ministerpräsident Maliki geißelt die Frauen als Lügnerinnen

AUS ERBIL INGA ROGG

Es ist ein zynisches Kalkül. Auf dem Rücken von zwei Frauen, die irakische Sicherheitskräfte der Vergewaltigung bezichtigt haben, versuchen sunnitische Extremisten und Terroristen politisches Kapital zu schlagen. Seit Bekanntwerden der Vorwürfe hätten sich 300 Selbstmordattentäter gemeldet, um Rache zu nehmen, tönte der mutmaßliche Chef der al-Qaida im Irak in einer im Internet verbreiteten Tonbotschaft.

Fragwürdig war in den letzten Tagen freilich auch das Verhalten des schiitischen Regierungschefs Nuri al-Maliki. Statt die Klärung der Vorwürfe den Gerichten zu überlassen, wies er die Anschuldigungen einer sunnitischen Araberin aus Bagdad rundheraus zurück und stellte diese selbst an den Pranger. Die Frau, die am Sonntag bei einer Razzia im Stadtteil Amel festgenommen worden war, hatte in einem Interview mit dem arabischen Fernsehsender al-Dschasira schwere Vorwürfe gegen schiitische Polizisten erhoben. Sie sei auf der Polizeiwache geschlagen und von drei Polizisten vergewaltigt worden, sagte die Frau. Die Polizisten hatten gedroht sie umzubringen, sollte sie sich an die Öffentlichkeit wenden.

Drei Tage später zeigten mehrere Fernsehanstalten die Aufnahmen einer tief verschleierten sunnitischen Turkmenin aus Tel Afar bei Mossul, die über die Vergewaltigung durch mehrere Soldaten berichtete. Wie bei den Polizisten in Bagdad soll es sich auch bei den Soldaten um Schiiten handeln, und in beiden Fällen wurden die Frauen beschuldigt, Extremisten zu unterstützen. Dabei drohten die Soldaten der Turkmenin, die Handyaufnahmen, die sie von den Vergewaltigungen machten, zu veröffentlichen, sollte sie nicht Stillschweigen bewahren. Nur das Einschreiten eines Soldaten habe verhindert, dass sich die Täter auch an ihren beiden Töchtern vergingen, sagte die Frau. Nach Angaben des Bürgermeisters von Tell Afar, Nedschim al-Dschuburi, wurden inzwischen vier Tatverdächtige festgenommen; sie sollen geständig sein.

Sollten sich die Vorwürfe bestätigen, hätten die beiden Frauen enormen Mut bewiesen. Bei Vergewaltigungen werden in der irakischen Gesellschaft die Opfer meist zu Täterinnen gestempelt, so dass Frauen in der Regel lieber schweigen, als die Ächtung oder gar Ermordung durch die eigene Familie zu riskieren.

Doch in dem konfessionellen Krieg, der im Irak tobt, haben die Vergewaltigungsvorwürfe den Zwist zwischen Schiiten und Sunniten geschürt. Dabei beschuldigte Ministerpräsident Maliki indirekt die Sunniten, das Interview mit der Sunnitin aus Bagdad sei nur lanciert worden, um die Sicherheitskräfte zu diskreditieren und damit den Sicherheitsplan zu unterlaufen. Während Maliki kurz nach Ausstrahlung des Interviews eine lückenlose Untersuchung und Bestrafung der möglichen Täter versprach, stellte er sich schon wenige Stunden später hinter die Polizei. Gleichzeitig geißelte er die Frau als Lügnerin, gegen die ein Haftbefehl vorliege. Zudem machte sein Büro Teile aus dem medizinischen Untersuchungsbericht eines US-Militärspitals öffentlich, in das die Frau am Sonntag zur Abklärung eingeliefert worden war. Davon, dass dieser bestätigte, es liege keine Vergewaltigung vor, kann indes keine Rede sein. Vielmehr heißt es darin nur, es seien keine Verletzungen der Vagina festgestellt worden. Zugleich hält der Bericht jedoch blaue Flecken an den Oberschenkeln sowie in der Leistengegend und am Kopf fest.

Nach mehrtägigem Schweigen hat sich mittlerweile Staatspräsident Dschalal Talabani, ein Kurde, eingeschaltet. Er forderte die Politiker auf, die Klärung der Vorwürfe doch den Gerichten zu überlassen.