Dietmar vs. Dietmar

Ein 1:2 in Bochum löst bei den Verantwortlichen des Hamburger SV eine neuerliche Welle von kunstvoll formulierten Durchhalteparolen aus

AUS BOCHUM CHRISTOPH SCHURIAN

Dann meldete sich ausgerechnet Dietmar Schott, die Stimme des Bundesliga-Samstags im WDR, damals, als nur das Radio live sendete und der Hamburger Sportverein nichts mit dem Abstieg zu tun hatte. Dietmar Schott, der längst Pensionär ist und ein vornehmer Herr im Mantel, hatte im Bochumer Presseraum gewartet bis die Tagesjournalisten ihre Fragen gestellt hatten. Dann erklang seine leicht sentimentale Moderatorenstimme: „Was für eine Serie!“, stöhnte Schott, er sei ja „HSVler“, und das seit 52 Jahren, ihm und HSV-Freunden draußen zerreiße es das Herz, das hässliche Wort von der Söldnertruppe mache die Runde. „Herr Doll“, richtete Schott schließlich das Wort an den HSV-Trainer, „Sie müssen doch sagen können, wie es wieder aufwärtsgeht?“ Doch Thomas Doll dachte nicht daran, sagte nur „Ist gut jetzt“, und knickte sein Mikrofon weg. Im Abstiegskampf versagen nun auch dem HSV-Coach die Nerven.

Doll war damit nicht allein an diesem Samstag. Der HSV, der bereits Bundesliga spielte, als John F. Kennedy noch lebte, kommt mit dem drohenden, dem ersten Abstieg nicht klar. Und wenn das Kollektiv versagt, verliert der Einzelne seine Sicherheit. Stefan Wächter, gerade mal wieder HSV-Stammtorwart geworden, spielte in seiner Jugend erfolgreich für den VfL Bochum.

In der fünften Minute schien sich der gebürtige Herner daran zu erinnern. Christoph Dabrowskis Ball zischte jedenfalls an Wächter vorbei in die Torwartecke. Auch die zweite Hälfte begann für Wächter mit einem Patzer. Er spielte den Ball Bochums Stürmer Theofanias Gekas in die Füße. Nur weil der Grieche einen unpräzisen Tag hatte, konnte der Keeper den Fehler selbst ausbügeln. Immerhin: Beim spielentscheidenden Traumtor, einem Freistoß von Zvjezdan Misimovic, war Wächter chancenlos. Nächstes Beispiel: Collin Benjamin spielte zwar nie für Bochum, doch das tapsige Stellungsspiel des Linksverteidigers hätte das vermuten lassen können. Mit dem gleichen Geschick stolperte der Mann aus Namibia in der zweiten Halbzeit über den Ball, verletzte sich am Arm. Dass sich der eingewechselte Argentinier Juan Pablo Sorin nicht vom stümperhaften Spiel seines Vorgängers abhob, dass Strafraumgoliath Bastian Reinhardt als einziger Hamburger Normalform ablieferte, dass Rafael Van der Vaart direkt vor den Augen des Schiedsrichters Thomas Bechmann von hinten in die Beine sprang – es sind Hinweise auf die Hamburger Angst vor dem ersten Bundesliga-Abstieg.

In einigen Monaten, irgendwann in der Vorbereitung auf die Zweitligasaison, wird die Niederlage des Hamburger Sportvereins im Bochumer Ruhrstadion noch einmal analysiert werden. Und alle werden sagen, dass der hoffnungslose Auftritt der HSV-Verantwortlichen in Bochum den Abstieg endgültig eingeleitet hat: Weil es der Vorstandsvorsitzender Bernd Hoffmann vorzog, ganz zu schweigen, musste immer wieder der Sportdirektor vor die Kameras, bis bei Dietmar Beiersdorfer die Kräfte schwanden. Schließlich brauchte der Manager lange Denkpausen, um doch nur, wie gehabt, einen Trainerwechsel auszuschließen.

Doll immerhin fing sich gerade noch rechtzeitig: Als Dietmar Schott, die WDR-Bundesliga-Legende, enttäuscht aufheulte, weil Trainer Doll ihm nicht antworten wollte, fasste sich dieser doch noch ein Herz, appellierte daran, den Glauben nicht zu verlieren, Flagge zu zeigen, nicht auf der Mannschaft herumzutrampeln. Weil seine schmissigen Durchhalteparolen sogar die zornigen Fans vor dem Mannschaftsbus besänftigten, konnte die Abstiegstour des ruhmreichen HSV weitergehen. Aber wie warnte noch Dietmar Schott? „Am Samstag kommt Nürnberg, das wird auch nicht leicht!“