Ausweg aus der Einbahnstraße

Akademische Karrieren sind in Deutschland nach wie vor einseitig: Wer die Hochschule einmal verlassen hat, um in der freien Wirtschaft zu arbeiten, findet kaum einen Weg zurück. Die wissenschaftliche und die unternehmerische Sphäre fremdeln

VON LARS KLAASSEN

Wenn Akademiker Karriere machen, spielt dabei das Umfeld, in denen sie ihre Qualifikationen erlangt haben, bislang nur eine geringe Rolle: 90 Prozent der deutschen Hochschulabsolventen sind in ihrem späteren Berufsleben außerhalb der hiesigen Hochschulen tätig. „Ohne Zweifel ist ‚Talent follows money‘ der wichtigste Einzelfaktor bei Entscheidungen in der Karriereplanung von Wissenschaftlern“, sagt Michael Baumann, Leiter von OncoRay in Dresden, einem der sechs Zentren für Innovationskompetenz in Deutschland. Das beste Beispiel hierfür sei der allseits beklagte „Braindrain“ von hochtalentierten Wissenschaftlern in die USA und zunehmend auch in europäischen Nachbarländern. „Dabei ist aber ‚Money‘ nicht gleichbedeutend mit persönlichem Einkommen, sondern meint auch ‚Money for Research‘, also exzellente Forschungsinfrastruktur und personelle Ausstattung.“ Dies werde unter anderem durch die vielen Research Fellows aus Deutschland – und anderen Ländern – an amerikanischen Universitäten und Forschungszentren belegt, die dort zwar relativ geringe Einkommen, aber attraktive Ausstattung, ein exzellentes Team und effiziente Förderinstrumente vorfänden.

Hinzu kommt: Die internationale Reputation der Forschungsstätte spielt eine nicht zu unterschätzende Rolle für spätere Karrierechancen. Auch die Möglichkeit, frühzeitig akademische Grade zu erlangen, Verantwortung zu übernehmen und Gestaltungsfreiheiten zu erhalten, ist ein wesentliches Entscheidungskriterium für junge Wissenschaftler. Das starre Korsett des Hochschulrahmengesetzes bietet in seiner bisherigen Form dafür keine attraktiven Bedingungen. Darüber hinaus gibt es eine Reihe weicher Faktoren, an denen es hierzulande ebenfalls mangelt, etwa die Möglichkeit der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Auch sie beeinflussen eine Entscheidung für die Karriereplanung gerade junger Wissenschaftler.

Die Folge: Karrieren im Ausland oder im außeruniversitären Bereich werden bevorzugt, da deutsche Universitäten in den Augen vieler junger Wissenschaftler diese Kriterien nicht ausreichend zu erfüllen scheinen. Diese Tendenz ist nicht zuletzt deshalb problematisch, weil die jungen, innovativen Kräfte den deutschen Hochschulen meist nicht nur temporär, sondern auf die Dauer verlorengehen. Die Entscheidung für eine außeruniversitäre Position ist meist unumkehrbar, da das deutsche System für Wechsel wenig durchlässig ist.

„Bei der Suche nach Belebungsformen für Innovationen rücken in den letzten Jahren trading zones, die Übergangs- und Überlappungszonen zwischen Wissenschaft und Wirtschaft, in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses“, konstatiert Andreas Knie, Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung „Innovation und Organisation“ am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). „An prominenten Stellen wie jüngst in der von der Bundesregierung verabschiedeten ‚Hightech-Strategie‘ werden immer wieder Unternehmensgründungen oder andere Formen von wirtschaftlichem Engagement in der Wissenschaft ausgelobt und als dringend erwünscht deklariert.“ Im Unterschied dazu bleibt aber die Zahl der Spin-offs sehr gering. Von jährlich etwa 600 Ausgründungen werden rund 500 von Universitäten initiiert. Im Rahmen dessen, was als Hightech-Gründung klassifiziert werden kann, das sind rund 1.500 im Jahr, erscheint der Anteil noch beträchtlich. Doch vor dem Hintergrund von insgesamt etwa 350.000 Unternehmensgründungen pro Jahr in Deutschland sieht das anders aus. Knie kritisiert: „Das entspricht einem Anteil an allen Gründungen in Deutschland von nicht einmal einem Prozent!“

Zur quantitativen Schwäche kommt noch die strukturelle: „Beim vielfach vorgetragenen Wunsch nach Ausgründung wird übersehen, dass in Deutschland Wissenschaft mehrheitlich als eigene Entität betrieben und auch so verstanden wird“, so Knie. Das heißt: Grundsätzlich bestehen zwischen „wissenschaftlichem“ und „wirtschaftlichem“ Handeln bemerkenswerte Identitätsunterschiede. Gute wissenschaftliche Arbeit orientiert sich an den Peers; gutes wirtschaftliches Handeln an der Marktakzeptanz. Zwischen- oder Experimentalformen scheinen kaum zu existieren.

Im Rahmen eines noch laufenden Vorhabens mit dem Titel „Ausgründungen als Grenzüberschreitungen und neuer Typ der Wissensgenerierung“ sind mehr als 60 Interviews mit Schlüsselpersonen der außeruniversitären Forschungslandschaft mit Bezug auf die Fragen nach Motiven, Verläufen und Hindernissen von Spin-off-Aktivitäten geführt worden. Knie: „Als ein Zwischenergebnis zeigt sich, dass grundsätzlich die wissenschaftliche Arbeit in Zukunftsbranchen wie Biotechnologie, ICT oder Materialforschung häufig nur noch in enger Vernetzung der verschiedenen Formen wissenschaftlicher Tätigkeit mit wirtschaftlichem Handeln betrieben werden kann.“ Grundlagenforschung sei beispielsweise eng mit der Prototypenfertigung vernetzt und werde zum Zwecke der Erkenntnisgewinnung vielfach mit unternehmerischen Aktivitäten rückgekoppelt.

„Unternehmensgründungen werden daher sehr oft als Fortsetzung des Forschungsvorhabens erwogen und als temporäres Engagement begriffen“, erläutert Knie. „Allerdings stehen für diese trading zones noch keine etablierten Karrierewege zur Verfügung.“ Die akademischen Disziplinen wehrten sich in ihrer Rekrutierungspraxis gegen diese Grenzgänger. Die Folge: Wissenschaftler, die zwischen Forschungslabor und Unternehmung wechseln, können ihre Erfahrungen in der Wirtschaft nicht in der Wissenschaft „kapitalisieren“. Im Gegenteil: Sie gelten als unsichere Kantonisten für die Sicherung der akademischen Autonomie. Für die Interessierten entsteht somit Unsicherheit über Cross-over-Karriereverläufe. „Die Bereitschaft, sich für eine befristete Zeit in unternehmerische Gefilde zu begeben“, so Knie, „ist in Deutschland sehr eingeschränkt“.

„Abhilfe können die Zentren für Innovationskompetenz (ZIK) schaffen“, betont Michael Baumann von Onco Ray aus eigener Erfahrung. Diese verbinden die universitäre mit der wirtschaftlichen Sphäre. Die Programminitiative „Exzellenz schaffen – Talente sichern“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) hat sich zum Ziel gesetzt, durch Förderung der ZIK „nachhaltig innovative und international kompetitive Forschungsschwerpunkte zu etablieren“. Hierdurch werden auch attraktive Stellen für Nachwuchsforscher geschaffen. Die ZIK werden gemeinsam von universitären und außeruniversitären Einrichtungen getragen.