Schönheiten des Prekariats

Vier Tore, ein wildes Fußballspiel, Wetterkapriolen, engagierte Fans. Der VfL Bochum und Alemannia Aachen lieferten sich am Samstag ein packendes Derby um die Vorherrschaft in der Old-School-Liga

Bochum hatte das Spiel und Gegner Aachen besser im Griff als den Lederball

AUS BOCHUM CHRISTOPH SCHURIAN

Sie kamen aus den Vereinigten Staaten und plapperten schon in der überfüllten Straßenbahn. Der nasse Asphalt glitzerte im Sonnenlicht, als die Männer ausstiegen. Menschen stauten sich vor dem Bochumer Ruhrstadion. „Beautyful“ riefen die Fußballtouristen aus Seattle. Bochum gegen Aachen, das Derby der beiden Old-School-Teams der Liga, war genau richtig für Fußballtouristen und Nostalgiker.

Auch wenn sich im deutschen Profifußball der Abstand zwischen den Nobelclubs und allen anderen vergrößert, liefern sich die unteren Zweidrittel wie im Ruhrstadion mitunter wildromantische Spiele mit vielen Toren, Flügelduellen, Tragödien und erschöpften Athleten. Das Problem der Existenzkämpfer, sie haben kein Auge mehr für die Schönheiten ihres Prekariats. Sie ärgern sich wie Bochums Kapitän Thomas Zdebel über Unkonzentriertheiten oder wissen wie Trainer Marcel Koller hernach nur noch von „Höhen und Tiefen“ – was eine Untertreibung ist.

Tatsächlich tobte das Spiel im Ruhrstadion hin und her bis in den den letzten zehn, fünfzehn Minuten der Starkregen nachließ und auch die Kräfte auf beiden Seiten. Der VfL zeigte nach zwei Heimniederlagen verbessertes Flügelspiel. Offenbar hat sich der in der Winterpause dazu geholte Joel Epalle endlich mit Linienpartner Oliver Schröder verständigt. Der Kameruner rackerte sich mit Rekordoberschenkeln ins Spiel, schaffte Räume für den etwas unpräzisen Oliver Schröder und wurde in der zweiten Hälfte Bochums Gefährlichster. Auf links harmonierten Filip Trojan und Philipp Bönig nicht nur beim Vornamen. Über sie und geschätzte zehn Stationen wurde das schönste Tor des Spiels vorbereitet. Eine Bönig-Flanke landete schließlich beim Kopfballspezialisten Christoph Dabrowski, der bediente Theofanis Gekas.

Der VfL hatte das Spiel und den Gegner aus Aachen mehr als eine Stunde lang im Griff – aber nicht den Lederball. Neutorwart Jaroslav Drobny warf einen Abschlag auf Bönig, der strauchelte, Sascha Rösler konnte schießen, Drobny den Ball nur nach oben prellen. Als das Spielgerät wieder herunter fiel, lag der Tscheche auf dem Rücken, das Leder kullerte ihm aus den Armen und Aachens Neuzugang Veda Ibisevic vor die Füße. Auch beim zweiten Ausgleich der Aachener durch Matthias Lehmann sah der Ex-Englandprofi blöd aus, rutschte weg, stand auf und prompt auf dem falschen Fuß. Für Bochum hatte Epalle zuvor mit einem Nachschuss am Strafraumrand getroffen.

Was das Spiel neben den kuriosen oder schönen Toren und energischen Grätschen an der Außenlinie so besonders machte, waren die munter mitgehenden Fans, die sangen, hopsten und dabei über die Fehler ihrer Fußballunterschichtler hinweg sahen. Ähnlich gut gelaunt leitete Schiedsrichter Peter Sippel die Begegnung, ließ britisch viel laufen, verwarnte nur VfL-Spielmacher Zvjezdan Misimovic, der in Bremen gesperrt ist. Vielleicht wird der sich ja sagen, nach so einem engen egalitären Match, was will ich da im modernen Weserstadion?

Auch die US-Soccerfans werden wohl kaum nach Bremen reisen wollen – mehr Stimmung verspricht Aachen gegen Mainz. Dabei kann das Auswärtsspiel des VfL an der Weser noch etwas zeigen: Der Klassenunterschied, die Deklassierung, das alles ist nichts wirklich neues. Bochum hat in Bremen noch nie gewinnen können.