Lauter Sinnvolle Dinger

Seit zehn Jahren ist die LSD-Lesebühne unterwegs, um sich performativ an den Tücken von Alltagstexten abzuarbeiten. Jetzt liegt die Liveliteratur in Buchform und als CD vor

Spider ist der Erste. Gegen halb zehn tritt er hinters Mikro. Er schraubt daran, dann kalauert er: „Wir sind die einzige Veranstaltung mit drei Halbzeiten und zwei Pausen, weil Pausen doch das Schönste sind.“ Seit zehn Jahren stehen die Mitglieder der Lesebühne LSD – Liebe statt Drogen – jeden Dienstag auf der Kellerbühne des Zosch. Damals unter dem Titel „Ein Keller Buntes“ und in leicht variierter Besetzung. Der „ostige“ Name wurde 1999 gegen LSD ausgetauscht.

„Zuerst gab es nur die Abkürzung“, erzählt Micha Ebeling, der zwar seit dem dritten Auftritt dabei ist, aber erst vor einem Jahr offizielles Mitglied wurde. Mal stand sie für „Lenin sagt danke“, mal für „Los, spring doch!“ oder „Leder-Sklaven-Dominas“. Irgendwann einigte man sich auf den romantisch-ironisch-pädogischen Titel. Mit einer Buchveröffentlichung ist das Kürzel nun endgültig festgeschrieben: Der Verlag Voland & Quist hat sich auf Liveliteratur spezialisiert – ein Paradox, impliziert doch die Bezeichnung, dass sich das Erlebnis nicht konservieren lässt.

Zusammen mit Sascha Kroß liefert Ivo Smolak die Musik zur Bühne. Der Germanist mit der brummenden Stimme und dem Juhnke-Hüftschwung hat das Buch zusätzlich geadelt: In einem literaturwissenschaftlichen Nachwort schreibt Smolak davon, dass die hier vorgelesenen Geschichten „Entfaltungen von Bedeutungen in der Zeit“ sind.

Das Performative dieser Art von Literatur ist einer der wichtigsten Aspekte. Dazu gehört Spiders Fummeln am Mikrofonständer ebenso wie die Tatsache, dass die Anlage nicht richtig funktioniert und Tube, der gelernte EDV-Techniker noch ein paar Knöpfe drehen muss, bevor er seinen ersten Text liest. Der Mann mit den dunklen Augenringen und der quakigen Stimme hangelt sich konsequent an einer einzigen Idee entlang. Die Reflexion über den Gebrauch einer Fernbedienung wird zur narzistischen Allmachtsfantasie und die Doppeldeutigkeit der Aussage „Du riechst nicht gut“ eskaliert in Streit und Tränenvergießen. Das Publikum weint mit, aus purer Freude.

„Das Ding müsste längst gegessen sein und wird immer noch serviert“, zitiert Smolak das Presseecho auf die andauernde Existenz der Lesebühnen. Seit nunmehr zehn Jahren sitzen die Zuschauer in verrauchten Spelunken oder nasskalten Kellerlöchern, quetschen sich auf harte Bierbänke. Sardinenbüchsen sind geräumig dagegen, trotzdem erträgt das Publikum solche Bedingungen. Alles für eine Kunstform, die sich fernab von Feuilletondebatten und Podiumsdiskussionen abspielt; derart authentisch, dass der Unterschied zwischen Erzähler und Autor aufgehoben scheint.

Ein Junge mit Schüttelfrisur will es genau wissen. „Ist deine Mitbewohnerin vielleicht Kirsten Fuchs?“, fragt er Martina Brandl, die als Vertretung für das dienstjüngste LSD-Mitglied Uli Hannemann am Start ist. Sie lacht: „Das bin nicht ich in dem Text“, erklärt sie, „das ist ausgedacht.“ An der Bar huscht ein Grinsen über die Gesichter. Ob Volker Strübing, wie er im Buch behauptet, tatsächlich „mal mit dem Tod Bruderschaft trank“, darf hiermit auch bezweifelt werden. Und was soll der geneigte Leser nun mit einem Medium, das doch offensichtlich nur live funktioniert? Die Antwort heißt: Lesen! Und dann hingehen. Oder andersrum. LEA STREISAND

Micha Ebeling, Uli Hannemann, Spider, Volker Strübing, Tube, Ivo & Sascha: LSD – Liebe statt Drogen Lesebühnenliteratur aus Berlin, Buch mit Audio-CD, 144 Seiten, 12,80 €ĽNächste Veranstaltung: heute, 21.30 Uhr im Zosch, Tucholskystr. 30, Mitte