„Ultras“ in Aufruhr

In Paris formieren sich Fans zu einem Gedenkmarsch für den von einem Polizisten erschossenen Anhänger

PARIS taz ■ Schweigend und zum Teil mit Kapuzen und Schärpen vermummt marschierten rund tausend Mitglieder von Fanklubs des französischen Erstligisten Paris Saint-Germain (PSG) von „ihrem“ Stadion, dem Prinzenpark, bis zur Stelle, wo am 23. November ihr 25-jähriger Kamerad Julien Q. von einem Polizisten in Zivil erschossen worden war. Die offizielle Version, der zufolge der aus Martinique stammende schwarze Beamte Antoine G. in Notwehr gehandelt habe, stellen die Demonstranten in Abrede. Dass nach dem Match PSG gegen Tel Aviv eine Menge von rassistischen Hooligans einen jungen Juden bedroht und gejagt hatte und dass dieser von dem Polizisten unter Lebensgefahr beschützt wurde, tut für sie überhaupt nichts zur Sache. Ihnen geht es einzig um den Tod von Julien, der wie die meisten der Anwesenden ein Mitglied der „Boulogne Boys“ war, die seit Jahren immer wieder mit ihren rassistischen Provokationen und gewaltsamen Ausschreitungen negativ aufgefallen sind.

„Es war Mord. Die Polizei hat die Supporter-Gruppen provoziert. Verantwortlich sind die Flics!“, erklärt Yann, einer der jungen Teilnehmer am Schweigemarsch, den Journalisten. Ein anderer, David, sagt kategorisch: „Wir sind sicher, dass es nicht Notwehr war, und wir wollen, dass dies offiziell zugegeben wird.“ Mit einem Transparent , das die Aufschrift „Que justice soit faite“ trug, fordern die Demonstranten, dass ihrem getöteten Freund „Gerechtigkeit widerfahre“.

Sie stellen die Glaubwürdigkeit des Polizisten Antoine. G. in Frage, weil dieser sich demnächst vor Gericht wegen einer Betrugsaffäre, die nichts mit dem PSG zu tun hat, verantworten muss. Die Polizei befürchtete Zwischenfälle im Anschluss an die Demonstration, hielt sich aber mit einem großen Aufgebot diskret im Hintergrund.

Das ursprünglich auf gestern Nachmittag angesetzte Spiel PSG gegen Toulouse wurde aus Sicherheitsgründen abgesagt. An einer Krisensitzung mit der Polizeipräfektur hatten am Freitag die PSG-Klubverantwortlichen und die Sprecher der Fanklubs vorgeschlagen, die Begegnung zu verschieben. Sie waren überzeugt, dass neue Gewaltszenen den Klub und die „Ultras“ in seinem Publikum definitiv in Verruf bringen würde. Für das Innenministerium und den französischen Fußballverband dreht sich die Frage um die Sanktionen und einschneidende Vorsichtsmaßnahmen. Die Polizeipräfektur hat bereits einen Teil der Tribüne in der Boulogne-Kurve bis auf Weiteres gesperrt. Dies wird indes als ungenügend kritisiert. Der französische Fußballverband verlangte, dass die 150 bis 300 aggressiven und rassistischen Extremisten unter den „Ultras“ von PSG, die der Polizei alle bekannt seien, aus den Stadien verbannt würden. Pascal Cherki, der Sportverantwortliche in der Pariser Stadtregierung, schlug vor, dass der PSG ein Jahr vor leeren Tribünen spielen solle. Das bedeute, meinte der PSG-Präsident Alain Cayzac, den sicheren Ruin des Klubs. Und Philippe Perreira, der Chef des gemäßigten Fanklubs „Les Gavroches“, warnte vor Initiativen, mit denen „Öl ins Feuer gegossen“ werde.

Auf ganzseitigen Zeitungsannoncen distanzierte sich PSG von Rassismus, Antisemitismus, Gewalt und Diskriminierung und schließt mit einem Satz, der posthum wie eine Solidaritätserklärung mit Julien Q. tönt: „Nein, man geht nicht ins Stadion, um zu sterben.“ RUDOLF BALMER