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KARL-MARX-ALLEEAlt und wach

Was wohl aus ihrer Adler-Schreibmaschine geworden ist?

Ich bekam einen Schreck, als ich vom Tod der Schriftstellerin Elfriede Brüning las. Dabei ist sie 103 Jahre alt geworden. Ich lernte sie kennen, als sie schon 100 Jahre alt war und ich sie für ein Interview in ihrer Wohnung in einer Seitenstraße der Karl-Marx-Allee besuchte. Es war das zweite Mal in meinem Leben, dass ich mit einem so hochbetagten Menschen zu tun hatte. Der erste war die hundertjährige Linda in einem Bergdorf im Tessin, die zweite war Elfriede Brüning aus der DDR.

Sie bewegte sich mit einem Rollator, aber ihr Geist war wach. Sie litt darunter, dass sie ihren Führerschein zurückgeben musste und nach dem Tod vieler Freunde und Weggefährten einsam sei. „Oft denken die Leute, ich sei nicht mehr da“, klagte sie. Bevor das Aufnahmegerät lief, stellten wir fest, dass ich ihre Enkelin Jasmina kannte, die in Guinea-Bissau lebte. Wir hatten uns Mitte der Achtziger in einem Studentenclub in Leipzig kennengelernt, wo sie mit ihrem Ehemann aus dem Westen war, mit dem sie bald darauf wegging. Nach dem Mauerfall lief sie mir im Zusammenhang mit einem Artikel über ein Frauenprojekt in Berlin wieder über den Weg.

Elfriede Brüning war eine angenehme Gesprächspartnerin und ich fand sie sympathisch, obwohl sie nicht wirklich im wiedervereinigten Deutschland angekommen war, das Neue Deutschland und die Junge Welt las. Zum Abschied schenkte sie mir ein Exemplar ihres Buches „Lästige Zeugen“, Tonbandgespräche mit Opfern der Stalinzeit. Ich habe es an dem Tag, an dem ich von ihrem Tod erfuhr, aus dem Regal genommen. Es liegt jetzt, versehen mit Elfriede Brünings Unterschrift und dem Datum 2. März 2011, auf dem Bücherstapel neben meinem Bett. Ich will es endlich lesen. Und ich würde gern wissen, was aus der alten Adler-Schreibmaschine geworden ist, auf der die Autorin geschrieben hat.

BARBARA BOLLWAHN

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