Im Café der Radiosender

AUS BONN SUSANNE SITZLER

Samstagnachmittag, 15 Uhr. Das Podcast-Café in der Bonner Innenstadt ist gut besucht. Kaffee-Geruch mischt sich mit Zigarettenrauch. Oben an einem Bistrotisch sitzen plaudernd zwei ältere Damen. Unten an der Theke schlürfen Wochenendshopper eine Coke. Ein normaler Café-Betrieb – wären da nicht die kleine Bühne in der Ecke, die Webcam, die montierten Kameras und die Monitore an der Wand.

Thorsten Anders, Podcaster und Gründer des Podcast-Stammtischs Wuppertal, hat heute zu einem offenen Treffen in das Café eingeladen. Neugierige sollen vorbeikommen und die Szene die Gelegenheit haben, sich „mal analog, statt immer nur virtuell“ zu treffen. Weil die Podcast-Szene in NRW weit auseinander wohnt, tourt der Stammtisch. „Nicht jeder kann für ein Treffen 100 Kilometer anreisen“, sagt Thorsten. Nach Wuppertal, Köln und Duisburg trifft man sich nun also in Bonn.

Gekommen sind rund 20 Podcaster und Podcast-Interessierte. Einige sind schon länger dabei und wollen sich austauschen. Ihre Podcasts heißen „Der ganze Rest“, „Freizeitheld“, „My way home“ oder „Time to listen“. Andere, wie Jürgen Vielmeier, sind neu dabei und brauchen Starthilfe: „Ich möchte gerne einen Podcast produzieren“, sagt der Journalist, „weiß aber nicht wie“. Im Januar hatte er den Podcast-Kongress in Köln besucht und bei einer Verlosung ein kleines Studio-Set gewonnen. Jetzt weiß er nicht so recht, was mit dem Mischpult, dem Mikro, dem Kopfhörer und der Software anzufangen.

Den 28-Jährigen interessiert nicht nur die technische Seite, er grübelt auch über den Inhalt seines zukünftigen Podcasts. „Es gibt viele langweilige Podcasts“, meint er. Wenn schon, dann müsse man ein interessantes Thema finden. Die Runde sieht das weniger problematisch. „Du erzählst einfach, was du auf der Leber hast“, empfiehlt einer. „Es muss ja keiner zuhören, wenn ich Bullshit erzähle“, sagt ein anderer. Jemand meint sogar: „Ich habe den Eindruck, dass ich nichts Sinnvolles produziere“.

Tatsächlich gibt es beim Podcasting keine thematischen Grenzen. Meist erzählen die kleinen Audio- oder Video-Beiträge vom Alltag. Es gibt aber auch Podcasts zu Fachthemen wie Technik oder Rollenspiel. Manche richten sich auch an besondere Zielgruppen, wie beispielsweise „kidspots.de“, ein Kindergeschichten-Podcast aus Köln.

Und ob nun sinnvoll oder nicht – Podcasts sind auf dem Vormarsch. Das bestätigt die im Februar veröffentlichte Studie „Deutschland Online 4“, für die über 100 Experten und über 6.000 Konsumenten befragt wurden. Auch wenn das neue Medium derzeit zu nur rund 4 Prozent genutzt wird, wird sich die Nutzung bis zum Jahr 2010 vervierfachen, so die Prognose. „In Deutschland gibt es derzeit schätzungsweise 3.000 Podcaster“, sagt Georg Schneider, Vorsitzender des Podcastclubs. Etwa 80 Prozent davon seien männlich und zwischen 25 und 35 Jahren alt. Der Frauenanteil nehme jedoch zu.

Der bekannteste private Podcast hierzulande ist sicher „Schlaflos in München“. Annik Rubens berichtet ihren Hörern darin seit gut zwei Jahren von ihrem Leben. Dennoch wissen die meisten mit Podcasts noch nichts anzufangen. Diese Erfahrung machen auch die Podcast-Produzenten: „Du machst einen Pod... – was!??“, bekommen sie zu hören. „Ich erkläre dann immer, dass ein Podcast so etwas ist, wie ein Zeitungsabo“, sagt einer. In der Tat wird ein Podcast wie eine Zeitung abonniert. Aber der Podcast ist kostenlos, er wird über einen so genannten Feed, meist RSS, auf einen MP3- Player geladen und kann dann überall gehört oder gesehen werden.

Podcasts findet man über Portale wie podcast.de oder podster.de. In den Podcharts liegt der WDR mit seinen Angeboten wie „Quarks & Co“ oder der „Sendung mit der Maus“ weit vorne. Auch die Tagesschau und andere Nachrichtenformate, Comedys oder Wissenssendungen werden gerne geladen. Mit ihrem Video-Podcast aus dem Bundestag hat auch Angela Merkel der Szene Vorschub geleistet. Doch wirkt „Die Kanzlerin direkt“ perfekt und steif wie eine Neujahrsansprache. Was die vielen kleinen privaten Podcasts charmant macht, ist das Persönliche, manchmal Holprige, Nicht-Perfekte.

Zum Podcasten braucht man eine gewisse Prise Exhibitionismus – besonders wenn man aus seinem Leben erzählt. „Aber auch beim Podcasten nimmt man eine Rolle ein, man gibt nicht alles von sich preis“, erklärt Carina Giesa von „Betreff: Liebe“. Die 19-jährige ist schon ein alter Podcast-Hase. Früher hat sie Webradio gemacht, vor zwei Jahren ist sie über Freunde zum Podcasten gekommen. Das schöne an ihrem Hobby sei die Kreativität, die man ausleben könne, sagt die Schülerin. „Es macht mir auch Spaß, meine Stimme zu benutzen und Themen nach außen zu tragen“. Über Liebe plaudert sie schon seit einem Jahr übers Netz. Besonders freut sie sich über das große Feedback. „Ich antworte dann auch immer – wenn nicht, fände ich das doof“.

Während sich die Runde weiterhin mit Problemen wie Abgrenzung von Corporate Podcasts, mit nutzungsrechtefreier Musik und technischen Detailfragen beschäftigt, wird auf der Bühne im Café aufgebaut: Eine Band aus Bonn will einen Trailer aufzeichnen – für sie kostenlos, denn sie sollen in einigen Wochen live im Café spielen.

Zuständig für Aufnahme, Regie und Schnitt ist Daniel Becker, selbst Podcaster und Rundum-Techniker im Podcast-Cafe. „Wir können die Beiträge hier digital bearbeiten und in alle gängigen Formate ausspielen“, sagt er. Wer zu ihm kommt, bekommt nach der Aufnahme eine geschnittene Version als CD oder DVD in die Hand gedrückt – die kann man dann zu Hause ins Internet einstellent. Ein 70-jähriger Dadaist und auch grußsingende Mädchen waren beispielsweise schon da, berichtet Daniel. Alles, was im Café produziert wird, ist später auf der Café-Homepage, www.cafepodcast.de, zu sehen. Für Privatleute ist der Service kostenlos – das Café finanziert sich über den gastronomischen Betrieb.

Und wenn Leute kommen, die nichts zu sagen haben? Café-Betreiber Christian Rottmann steht zu seiner Idee. „Alles, was es auf der Straße gibt“, will er im Café sehen. „Auch Trash kann auf Interesse stoßen“, sagt er. Selektion sei nicht seine Aufgabe. Jeder soll vom Konsumenten zum Produzenten werden. „Ich verstehe das Café als Sender, der getragen wird von den Menschen auf der Bühne“, sagt der Ex-Fernseh-Mann. Ausschließen will er nichts, mal abgesehen von rassistischen oder pornografischen Inhalten. Wie sich das alles entwickeln wird, das ist auch für ihn eine spannende Frage. Die Podcast-Szene jedenfalls hat hier in der Bonner Innenstadt eine neue Spielwiese.