China verfügt Moratorium für neue AKWs

AUS PEKING JUTTA LIETSCH

Für die Stadt Jiayuguan am Rande der Wüste Gobi bedeutet die Atomkraft Hoffnung auf viel Geld und Arbeitsplätze: Hier, tief im Westen Chinas, stehen Planungsbüros und Wohnsiedlungen für einige der wichtigsten Atomkonzerne des Landes: die China National Nuclear Corporation (CNNC) und das nur mit einer Nummer gekennzeichnete „404“-Nuklearunternehmen des Militärs. Der Atomkraft haben die Behörden sogar einen eigenen „Heldenplatz“ gewidmet, wo wuchtige Denkmäler die „ruhmreiche“ Geschichte der chinesischen Nuklearpolitik preisen – vom Test der ersten Bombe 1964 bis zur Entwicklung ziviler Atomkraftwerke.

Jetzt bereitet sich die Stadt Jiayuguan auf eine neue historische Etappe vor: Nicht weit von hier soll eine Wiederaufbereitungsanlage für Uran entstehen. Im November 2010 unterzeichnete CNNC einen Vertrag mit dem französischen Atomkonglomerat Areva über das Projekt, dessen Wert mit rund 20 Milliarden Euro beziffert wurde. Die Anlage würde groß genug, hieß es, um den verbrauchten Uranbrennstoff nicht nur aus chinesischen AKWs zu verarbeiten, sondern aus ganz Asien.

Das erste kommerzielle Atomkraftwerk Chinas entstand 1991 unweit der Millionenmetropole Schanghai, das zweite 1994 in der Nähe der Hafenstadt Hongkong. Inzwischen sind 13 zivile Reaktoren in China in Betrieb. Allein im vergangenen Jahr gingen zwei neue Einheiten ans Netz, mit dem Bau von neun weiteren wurde begonnen. Die geplante Wiederaufbereitungsanlage ist Teil einer Vision klimafreundlicher Atomenergie, vor deren Risiken Chinas Experten bislang nur leise warnen durften. Erst die Katastrophe im japanischen Fukushima hat dazu geführt, dass Zweifel an den ehrgeizigen Plänen laut werden.

So stoppte der Staatsrat unter Leitung von Premierminister Wen Jiabao am 16. März vorerst die Genehmigung weiterer Anlagen. Das war bemerkenswert: Zwei Tage zuvor hatte der Nationale Volkskongress noch die Pläne zum Bau Dutzender neuer Reaktoren abgesegnet. Da brannte es bereits in Fukushima.

Bis 2015 soll der Anteil der Atomenergie an der Stromerzeugung von derzeit 2 auf 5 Prozent steigen. Bis 2020 sollen die Atomenergie-Kapazitäten von derzeit 10,8 Gigawatt auf 80 Gigawatt erhöht werden. Nun hieß es, nicht nur die Kriterien für neue Anlagen, sondern auch die bereits existierenden und im Bau befindlichen AKWs sollen überprüft werden. Unklar ist, wie lange das Moratorium gilt und was genau geprüft wird. Ein Ende des AKW-Ausbaus wird damit ganz sicher nicht eingeleitet.

Eine Kultur der Geheimniskrämerei verhindert bis heute, dass Chinas Atomkonzerne ausreichend Auskunft über Störfälle, Sicherheitsvorkehrungen oder mögliche Evakuierungspläne geben. Die bestehenden Anlagen liegen in dicht besiedelten Gebieten. Größere Störfälle wurden nicht bekannt. In den letzten Jahren kam es häufiger zu Panikreaktionen in der Nähe von Atomkraftwerken, als sich Gerüchte über Unglücke in der Bevölkerung verbreiteten.

Die schlechte Informationspolitik der Behörden löst immer wieder Sorge aus. In den letzten Tagen legten sich viele Chinesen Vorräte an Meersalz und Seetang für die Küche zu. Sie glauben, sich so gegen radioaktive Strahlung schützen zu können – trotz aller offiziellen Beteuerungen, dies sei Unsinn.

Die Tatsache, dass der langjährige Chef des Atomunternehmens CNNC, Kang Rixin, kürzlich wegen Korruption zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, beruhigt auch niemanden: Da die Medien nicht offen über seine Verfehlungen schreiben durften, bleibt viel Raum für Spekulationen und Gerüchte.

So scherzten im Internet einige Chinesen, ob die Wände der Atomkraftwerke wegen der Korruption des früheren CNNC-Chefs vielleicht auch so mürbe wie „Sojabohnenquark“ seien. Damit spielten sie auf die vielen Schulen in der Provinz Sichuan an, die wegen des Pfuschs am Bau beim großen Erdbeben von 2008 zusammengestürzt waren.

Die Pekinger Zeitung Xinjing forderte unterdes in einem Kommentar, die Sicherheit der Atomanlagen nicht mehr als „Rätsel“ zu behandeln. Die Öffentlichkeit habe „ein Recht auf Information“.