DIE GESELLSCHAFTSKRITIK
: Geschichten aus der Gruft

WAS SAGT UNS DAS? In der „New York Times“ wird Liz Taylors Leben gewürdigt – von einem Toten

Es dürfte bekannt sein, dass Redaktionen die Nachrufe von aus Alters- oder Attentatsgründen latent lebensgefährdeten Prominenten in ihrem Stehsatz vorhalten. Wenn so ein Obama kurz vor Druckschluss abtritt, muss es halt ganz schnell gehen. Das ist vielleicht zynisch, aber: So läuft ’s Business.

Etwas gruselig wird es aber, wenn der Nachrufende vorm Benachruften stirbt. Wie ein Widerhall aus einer Zwischenwelt wirkt das, was nun bei der New York Times passierte: Den Nachruf auf Liz Taylor schrieb Mel Gussow, der 35 Jahre für die New York Times tätig war, bis zu seinem Knochenkrebstod 2005. Immerhin gab es einen Verweis unter dem Text, in dem noch hektische Betriebsamkeit in der Times simuliert wurde: Gleich drei Redakteure sind nochmal über den Text gegangen – so viel ist dann ja eigentlich auch nicht mehr passiert in den letzten sechs Lebensjahren der Taylor.

Aber ist das jetzt schlimm? Nein. Klar, optimal ist anders. Aber wenn es wirklich schnell gehen muss – oder der Text, wie sich Bill McDonald von der NYT nachträglich rechtfertigte, besonders gut ist: Dann geht das auch mal. So läuft ’s – genau – Business. Interessant wäre höchstens, ob schon mal zwei Personen gegenseitig Nachrufe auf sich verfasst haben.

In der taz gab es übrigens mal einen ähnlichen Fall. Viele Jahre lang wurde von unserem Italien-Korrespondenten Werner Raith „Der Papst, der in die Wärme kam“, ein Nachruf auf Johannes Paul II., gepflegt und jedes Jahr um spannende Papstdetails ergänzt. 2001 starb Raith, erst 2005 Karol Wojtyla, und kurz sah es so aus, als würde der Text doch noch gedruckt – mit der Ortsangabe Himmelpforten. Es fand sich dann aber doch ein lebendiger Autor. MICHAEL BRAKE