Der Potsdamer Blick ins ewig schmelzende Eis

Annette Rinke untersucht die Klimaveränderungen. Die Wissenschaftlerin ist eine von 50.000, die im Rahmen des Internationalen Polarjahres die Polregionen erforschen. Die 44-Jährige beobachtet eine Eisscholle in der Arktis

Die Welt scheint im Wissenschaftspark „Albert Einstein“ am Rande Potsdams noch in Ordnung. „Schön ist es hier“, sagt Annette Rinke, während Vogelgesang durch das Fenster in ihr Büro schallt. Dass die Waldidylle, die die Kulisse für den Arbeitsplatz bietet, noch lange erhalten bleibt, dafür kämpft die 44-jährige Wissenschaftlerin: Seit 1992 beschäftigt sich die Mitarbeiterin des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) mit dem Klimawandel.

Schwerpunkt der Potsdamer Außenstelle des AWI, das seinen Hauptsitz in Bremerhaven hat, sind die Polargebiete. „Die Erforschung der Arktis ist ein Schlüssel zum Verständnis der Klimaerwärmung“, erklärt Rinke. Dort trete die Klimaerwärmung doppelt so stark auf wie im Rest der Welt. Dabei seien die Effekte schon drastisch genug: In den vergangenen 20 Jahren habe sich das Klima weltweit um 0,5 Grad erwärmt. Das AWI beteiligt sich am heute beginnenden Internationalen Polarjahr mit Berichten und Forschern (siehe Kasten).

Rinke ist eine typische Vertreterin ihres Faches: Sie begegnet Fragen nach ihrer Person zunächst mit Misstrauen; mit Leidenschaft spricht sie hingegen über ihre Arbeit. Zurzeit besteht die vor allem aus „modellierenden und experimentellen Untersuchungen atmosphärischer Prozesse“, so Rinke. Klingt kompliziert – und das ist es auch. „Die Arbeit unseres Instituts unterscheidet sich von anderen Instituten vor allem dadurch, dass wir Daten nicht nur messen, sondern eben auch in Tabellen und Grafiken auswerten.“ So sollen Prognosen entwickelt werden.

Rinke ist Mitautorin des „Intergovernmental Panel on Climate Change“, eines Berichts, der seit 1988 alle fünf Jahre den Zustand des Klimas beschreibt. Der erste Teil davon wurde gerade veröffentlicht. „Der Bericht ist zunächst eine Bestandsaufnahme der Veränderungen in den Polargebieten.“

Rinke ist zufrieden mit ihrer Forschung – und damit, dass sie an einer Arbeit beteiligt war, zu der mehr als 100 Wissenschaftler beigetragen haben. In den noch nicht veröffentlichten Teilen werde es vor allem um den weltweiten Klimawandel gehen und darum, eine Vorhersage für die Zukunft zu erstellen.

Doch die Arbeit des AWI ist nicht nur theoretischer Natur. Von September bis März kommenden Jahres werden sich die Potsdamer an einer russischen Forschungsstation beteiligen, die auf einer driftenden Eisscholle in der Arktis errichtet wird. „Wir haben einen Wissenschaftler vor Ort, der jeden Tag Messungen vornehmen wird, die wir parallel auswerten können.“ Zusätzlich zu mehreren solcher Eisschollen seien bis zu 18 Schiffe diverser Institute in den Polarregionen unterwegs – all dies ist Teil der Forschungskampagne im Rahmen des „Polarjahres“.

Über Mangel an auszuwertenden Daten kann Rinke daher nicht klagen. Dennoch vermisst die Wissenschaftlerin, die selbst einmal auf dem Institutsschiff „Polarstern“ in der Arktis war, die praktische Arbeit. „Eigentlich haben alle aus dem AWI gehofft, einmal selbst auf die Eisscholle zu kommen. Doch ein kurzer Aufenthalt wurde nicht gestattet.“ Außerdem sei von russischer Seite die Anwesenheit von Frauen verboten worden, sagt Rinke – und lacht über den russischen Chauvinismus.

Die Arbeit auf der Eisscholle ist hart, weiß Rinke. Die täglichen Messungen seien anstrengend, der Erhalt einer Privatsphäre unter den rund 20 Wissenschaftlern ausgeschlossen. Zudem seien die Arbeiten nicht ungefährlich. „Die Scholle muss groß genug sein, sonst kann sie bei Sturm und Eisschmelze leicht zerbrechen.“ Den Kampf gegen den Klimawandel führt Rinke daher lieber vom Schreibtisch aus. Von dort, wo die Polarschmelze vom Vogelgezwitscher begleitet wird. TIM WESTERHOLT