Mehr als elf Gute

Der französische Dauermeister Olympique Lyon hat in der Vorrunde der Champions League mehr Punkte als alle Konkurrenten gesammelt und will endlich weiter kommen als bis ins Viertelfinale

VON RALF ITZEL

Für den gelungenen Abschluss reichte sogar ein B-Team. Mittwochabend im Stadion Gerland stellten einige Ergänzungsspieler per 1:1 gegen Steaua Bukarest sicher, dass Olympique Lyonnais seinen Nimbus der Unbesiegbarkeit ins Achtelfinale transportiert. Dass OL derzeit kaum zu schlagen ist, beweisen die bloßen Zahlen. In der Champions League war die Mannschaft bereits nach vier Auftaktsiegen ohne Gegentor für die K.-o.-Runde qualifiziert und konnte sich darauf bei Real Madrid und nun gegen die Rumänen Unentschieden erlauben. Am Ende hat kein anderer Klub in der Gruppenphase so viele Punkte gesammelt wie der Sieger der Staffel E.

In der heimischen Liga hat die Mannschaft sogar mehr Zähler eingeheimst als je eine andere zuvor zu diesem Zeitpunkt und steuert mit 14 Punkten Vorsprung zielsicher dem sechsten Meistertitel in Folge entgegen. Von den 16 bisherigen Begegnungen beendeten die Lyoner 14 als Sieger, dazu kam ein Unentschieden und ein 0:1 in Rennes, die einzige Saisonniederlage in allen Wettbewerben. Zuletzt triumphierte OL in Le Mans, was neun Monate lang niemandem gelungen war. Beim 1:0 wurde mit geringem Aufwand der maximale Ertrag erzielt, beliebte Vorgehensweise gefestigter Spitzenteams. Oft genügt ein Freistoß oder ein schneller Angriff, anschließend wird kontrolliert und verwaltet. Dabei ist die französische Division nicht so schlecht, sondern Lyon einfach so gut. Das beweisen etwa das Scheitern von Schalke 04 im UEFA-Cup am AS Nancy oder das Vorrücken von Lille in die Runde der besten 16 des Kontinents.

Lob aus berufenem Munde ist nicht ausgeblieben. Frank Rijkaard, Trainer des FC Barcelona, bezeichnete die Lyoner kürzlich als die derzeit am besten spielende Mannschaft Europas. Mittlerweile hat die Equipe alle wichtigen Automatismen verinnerlicht. Die Akteure repositionieren sich genauso schnell, wie sie nach Ballgewinn angreifen, sind in der Offensive beweglich und präzise, zum Beispiel über Nationalspieler Florent Malouda.

Der frühere deutsche Internationale Bernd Schuster bewunderte neulich als Co-Kommentator des spanischen Fernsehens beim 2:2 in Madrid Lyons „enorme Effektivität“. Die Standardsituationen, aus denen im heutigen Fußball rund 30 Prozent der Treffer entstehen, führt der Brasilianer Juninho aus, über den Fabio Capello, Trainer von Real Madrid, sagt: „Kein anderer schießt wie er, er ist ein Phänomen.“ 30 Freistöße hat Juninho in fünfeinhalb Jahren direkt verwandelt. Sein Geheimnis: „Übung und nochmal Übung. Man muss den Ball also richtig schießen können, aber dann hängen 80 Prozent des Erfolgs von der Konzentration ab. Wenn ich mich von nichts ablenken lasse, ist der Treffer nahe.“ Gegentore kassiert Lyon kaum, auch dank Grégory Coupet, den Oliver Kahn für den besten Fänger der Champions League hält. Nationaltrainer Domenech hat ihn nach der WM endlich auch zu Frankreichs Nummer eins gemacht.

Der Kader ist so groß, dass immer wieder Leistungsträger geschont werden können. „Das ist eine der Mannschaften, die den Europacup gewinnen können“, sagt Schuster, „da brauchst du mehr als elf Gute.“ In Madrid fehlten drei Angreifer verletzt, also tauchte der norwegische Riese John Carew zum ersten Mal in dieser Saison auf – und Capello staunte: „So gut habe ich ihn noch nie gesehen.“

Die Trefferquote von Präsident Jean-Michel Aulas und seinen Helfern bei den Transfers sucht ihresgleichen. Abgewanderte Stars wie Essien (jetzt Chelsea) oder Diarra (Real Madrid) werden gleichwertig ersetzt. OL holt die besten Profis von der Ligakonkurrenz und nutzt seine guten Kontakte nach Afrika. Dabei kommt die Pflege des eigenen Nachwuchses nie zu kurz. Dieses Jahr haben sich wieder vier Talente etabliert. Der knapp 19-jährige Angreifer Karim Benzema wurde schon in die Nationalelf befördert. Die Stimmung im Kader könnte kaum besser sein. Jeder nimmt klaglos hin, zuweilen mit der zweiten Mannschaft in der vierten Liga auflaufen zu müssen.

Trainer Gérard Houllier (59) führt sein Team ruhig und bestimmt. Er war bei seinem Amtsantritt im Sommer 2005 intelligent genug, das Spielsystem von Vorgänger Paul le Guen beizubehalten, und ist jetzt dabei, seinen Ruf zu bereinigen. In Frankreich war der Name des früheren Nationaltrainers lange nur mit dem dramatischen Scheitern in der Qualifikation für die WM 1994 gegen Bulgarien verbunden.

Lyons großes Saisonziel ist, endlich das Viertelfinale der Champions League zu überwinden. Dreimal ist der Klub, der durch Kantersiege gegen Bayern München, Werder Bremen oder Real Madrid auffiel, zuletzt dort gestrauchelt. OL sei eigentlich besser gewesen als die Rivalen der Vorjahre PSV Eindhoven und AC Mailand, meint Houllier. „Dieses Jahr sind wir noch stärker“, sagt der Coach, der nach den Spielen gegen Real Madrid seine taktischen Vorgaben nicht preisgeben wollte: „Vielleicht treffen wir die ja im Finale wieder.“