berliner szenen Held der Weihnacht

Der goldene Schuh

Das Ring-Center Friedrichshain ist ein Ort, an dem selbst die Verkäuferinnen haarscharf an einem vorbeisehen. Gesprochen wird nur das Notwendigste – und dann im Imperativ. „Gut riechen ist Pflicht!“, sagte zum Beispiel neulich die Douglette bei Douglas. Man könnte denken, man wäre in eine Raum-Zeit-Spalte gefallen und besuchte die DDR in Farbe. Nur im Notfall gehe ich dorthin, heute war so einer. Ich musste dringend meine Schuhe besohlen, obwohl ich wusste, was mich erwartete. Der Schuster, der 1999 den „goldenen Schuh“ in Kötschenbroda gewann, wie man auf einer Urkunde mit Foto an der Wand lesen kann, weist jeden Kunden zurecht. „Eher kommen!“, sagt er meistens ohne ein Wort der Begrüßung, und die Kunden sehen reumütig auf ihre schiefen Absätze, als könnten sie nie Held der Arbeit werden.

„Nikolaus!“, sagte er heute zu mir, meine Schuhe stellte er verächtlich ins Regal. Aus Erfahrung weiß ich, dass es sinnlos ist, nach der Bedeutung zu fragen. Das Einzige, was im Ring-Center hilft, ist der Lady-Diana-Blick: von unten nach oben schauen und die Augen wieder niederschlagen, dann steigt die Röte von selbst ins Gesicht, und sogar der Schuster wird plötzlich ein Handwerker der Herzen.

„Wartezeit verringern mit Nikolaus!“, verlängerte er und zeigte auf das Schloss aus Pappmaschee, das im so genannten Basement steht. Ein Nikolaus war gerade dabei, die Bösen von den Guten zu trennen, in dem er fragte, wer sich heute die Schuhe geputzt hätte. Zwei Kinder waren so ehrlich, mit „Ich nicht!“ zu antworten. Als er ihnen trotzdem Süßigkeiten gab, sah ich, dass der Nikolaus jene goldenen Schuhe trug, die mein Schuster als Preis gewonnen hatte. Nun glaube ich wieder an den Nikolaus.JUTTA RAULWING