: Ist es richtig, die Kurden zu bewaffnen?Ja
FRONT Die USA und Frankreich beliefern kurdische Kämpfer im Nordirak mit Waffen. Auch Deutschland schließt das nicht mehr aus
Die sonntaz-Frage wird vorab online gestellt.
Immer ab Dienstagmittag. Wir wählen eine interessante
Antwort aus und drucken sie dann in der sonntaz.
Kurdo, 26, Rapper aus Heidelberg, ist mit acht Jahren aus dem Irak geflohen
Ich bin ganz klar für eine Bewaffnung des kurdischen Volkes! Die kurdischen Verteidigungstruppen haben sich nicht dazu entschieden, einen Krieg gegen Isis zu führen, sondern dafür, ihren Boden und die Demokratie zu verteidigen. Sie kämpfen für die Freiheit vieler unterschiedlicher Glaubensgemeinschaften. Ihr Motiv, zu den Waffen zu greifen, ist klarer als die Motive, die die großen Nationen in angeblichen Verteidigungskriegen verfolgten. Die kurdischen Verteidigungstruppen versuchen nur, Menschenleben zu schützen.
Siamend Hajo, 46, ist Kurde, Journalist und in der syrischen Opposition aktiv
Ja, die Peschmerga im Nordirak sollen bewaffnet werden. Die Kämpfer haben in den letzten 15 Jahren gezeigt: Sie sind eine Verteidigungs-, keine Angriffsarmee. Irakisch-Kurdistan ist keine Musterdemokratie, aber demokratischer als fast alle anderen Staaten der Region. Solange die USA keine Bodentruppen entsenden, ist die – kontrollierte – Bewaffnung der Peschmerga die einzige Option, den Islamischen Staat zurückzudrängen. Die Arbeiterpartei Kurdistans dagegen, die PKK, ist eine totalitäre Partei und darf keine Waffen erhalten.
Berivan Kaya, 41, ist eine deutsch-kurdische Film- und Theaterschauspielerin
In der aktuellen politischen Situation bin ich dafür, die irakischen Kurden zu bewaffnen. Ich denke nicht, dass die Unterstützung durch Hilfsgüter allein zum Schutz der Flüchtlinge ausreicht. Langfristig muss man jedoch eine friedliche Lösung anstreben. Da Kurdistan über die vier Staaten Irak, Iran, Syrien und die Türkei verteilt liegt, ist die Staatspolitik dieser Länder antikurdisch. Die demokratischen Errungenschaften des kurdischen Volkes wie jetzt im Irak und in der Türkei konnten nur deshalb bis jetzt Bestand haben, weil die Kurden über eigene bewaffnete Widerstandskräfte verfügen. So lange die demokratischen Rechte der Kurden in der Verfassung dieser Staaten nicht festgeschrieben, umgesetzt und garantiert werden, muss der Widerstand in dieser Form bestehen.
Michael Gahler, 54, ist sicherheitspolitischer Sprecher der EVP im EU-Parlament
Der einzige friedliche Teil des Irak ist gerade brutalen Extremisten ausgesetzt. Sie folgen keiner Regierung, auf die man ersatzweise Druck machen könnte. Die irakischen Kurden sind verlässliche Partner, nicht extremistisch, Minderheiten gegenüber tolerant. Ohne Waffenlieferungen wäre Selbstverteidigung unmöglich. Oder: Erbil wird UN-Schutzzone und mit UN-Blauhelmen verteidigt. Selbst mit einer Zustimmung des Sicherheitsrats spräche aber der Zeitfaktor dagegen. Wer Waffen liefert, ist zweitrangig, es muss schnell gehen.
Seyran Ateș, 51, ist eine Autorin und Rechtsanwältin türkisch-kurdischer Herkunft
Die Amerikaner stehen im Irak in der ersten Verantwortung. Sie haben das Land so weit gebracht. Nur zusehen und sein schlechtes Gewissen mit humanitärer Hilfe unterdrücken, während ein Völkermord geschieht – das geht nicht. Die westliche Staatengemeinschaft hat ihren Teil dazu beigetragen, dass Islamisten seit 2001 einen weltweiten Religionskrieg führen. Diese Irren sind weder mit Diplomatie noch Nahrungsmitteln oder Decken zu stoppen. Die Kurden nicht mit Waffen zu unterstützen, ist Mittäterschaft am Völkermord.
Nein
Christiane Fröhlich, 37, arbeitet am Institut für Friedensforschung in Hamburg
Der Einsatz von Waffen muss das letzte Mittel in Konflikten bleiben; vorher müssen alle anderen Optionen ausgeschöpft sein. Dieses Prinzip darf nicht aufgeweicht werden, nur weil dafür gerade wenig Zeit ist. Deutschland und die Europäische Union haben lange weggeschaut. Das lässt sich mit Waffenlieferungen nicht rückgängig machen. Was wir dagegen brauchen, ist eine übergreifende, langfristige Strategie für den Irak, Kurdistan und den Umgang mit Gruppen wie dem Islamischen Staat; hier sollte Deutschland in der EU vorangehen. Dazu gehört zum Beispiel ein grundsätzliches Umdenken in der Flüchtlingspolitik: Wir könnten deutlich mehr Flüchtlinge aufnehmen, denkbar wäre im Fall Irak sogar eine Art Luftbrücke, mit der eingeschlossene bedrohte Gruppen ausgeflogen werden. So könnte ein Völkermord auch ohne die unkalkulierbaren Risiken einer Waffenlieferung verhindert werden.
Sevim Dagdelen, 38, Linke, ist Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags
Eine Entscheidung der Bundesregierung, deutsche Waffen in ein Kriegsgebiet zu liefern, wäre gefährlich. Sie würde den Weg für eine Abkehr von einer Rüstungsexportpolitik öffnen, für die nach dem Zweiten Weltkrieg die Lieferung deutscher Waffen in Kriegsgebiete ein Tabu war. Es braucht stattdessen eine radikale Wende in der Nahostpolitik. Zuerst einmal muss die kurdische PKK, die den verfolgten Jesiden allein geholfen hat, von der Terrorliste gestrichen werden. Das Embargo gegen die von der PKK gegen den Islamischen Staat verteidigten Enklaven im Norden Syriens ist aufzuheben. Deutschland muss die völkerrechtswidrige Regime-Change-Politik beenden. Die Sanktionen gegen die syrische Bevölkerung sind umgehend abzuschaffen. Wir brauchen einen Waffenexportstopp für die Staaten Katar, Saudi-Arabien und Türkei, die den Islamischen Staat unterstützen – sonst macht sich Deutschland weiter mitschuldig an den Massakern des Islamischen Staates.
Christian Tomuschat, 78, ist emeritierter Professor für Völker- und Europarecht
Durch Waffenlieferungen an die kurdischen Truppen würde Deutschland als Partei in einen laufenden bewaffneten Konflikt eingreifen. Solche Waffenlieferungen haben eine gänzlich andere Qualität als Rüstungsgeschäfte mit einem Staat, der sich im Friedenszustand befindet, und müssten daher als militärischer Einsatz gewertet werden. Das Grundgesetz stellt dafür enge Schranken auf: Militärische Einsätze der Bundeswehr sind nur zur Selbstverteidigung oder im Rahmen eines Systems kollektiver Sicherheit gestattet. Die Bundesrepublik dürfte sich an der Durchführung von Beschlüssen beteiligen, die im Rahmen von UNO, Nato oder EU gefasst worden sind. Solche Beschlüsse gibt es bisher nicht. Bewusst hat der Verfassunggeber verhindern wollen, dass sich Deutschland, sei es auch aus höchst ehrenwerten Motiven, in eine kriegerische Auseinandersetzung einmischt, ohne in einen fest organisierten internationalen Solidarverbund eingebettet zu sein.
Alicja Sobantka, 32, ist taz-Leserin und hat sich per Mail an der Streitfrage beteiligt
Zunächst einmal kann man überhaupt nicht abschätzen, ob bewaffnete Kurden im Irak den Islamischen Staat aufhalten könnten. Außerdem muss bedacht werden, dass die gelieferten Waffen auch nach einer möglichen Lösung des Konflikts in der Region bleiben würden. Und zwar in der Hand der Kurden – mit nicht vorhersehbaren Folgen. Schlimmstenfalls könnte eine heutige Waffenlieferung eine weitere Flüchtlingswelle in Zukunft bedeuten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen