Geschichte bleibt tabu

Indonesiens Verfassungsgericht kippt die Wahrheitskommission. Menschenrechtler hatten gegen Teile des betreffenden Gesetzes geklagt

VON ANETT KELLER

Indonesiens Verfassungsgericht hat das Gesetz gekippt, das eine Wahrheits- und Versöhnungskommission für das Land einrichtet. Die führenden indonesischen Menschenrechtsorganisationen waren vor das Gericht gezogen, weil sie einzelne Paragraphen des 2004 vom Parlament verabschiedeten Gesetzes als verfassungswidrig ansahen. Nun haben die Richter entschieden, dass ein Paragraph tatsächlich gegen die Verfassung verstößt – und gleich das komplette Gesetz für nichtig erklärt. Mit so viel Urteilskraft hatten die Menschenrechtler wohl nicht gerechnet.

Für eine Wahrheitskommission gäbe es in Indonesien genug zu tun. Jahrzehntelang hatte General Suharto, 1965 durch einen Putsch an die Macht gekommen, das Inselreich mit eiserner Faust regiert. Nach dem Putsch kam es zu Massakern an vermeintlichen Kommunisten, bei denen mindestens eine halbe Million Menschen umkamen. Ehemaligen Mitgliedern der KP wurde das Wahlrecht und eine Tätigkeit in öffentlichen Ämtern verwehrt. Bis heute ist diese dunkle Epoche der indonesischen Geschichte kaum aufgearbeitet. Auch die Opfer der blutigen Besetzung Osttimors durch indonesisches Militär 1975–99 oder des brutalen Vorgehens der staatlichen Ordnungskräfte gegen protestierende Studenten im Mai 1998, kurz vor Suhartos Sturz, warten bis heute vergeblich auf die Bestrafung der Täter.

Deshalb war der Schritt, ein Gesetz für eine Wahrheitskommission auf den Weg zu bringen, zunächst von der Zivilgesellschaft begrüßt worden. Doch bei genauerem Hinsehen zeigte sich, dass nicht Gerechtigkeit für die Opfer die treibende Kraft der Gesetzgeber war. Besonders in der Kritik stand der sogenannte Schlussstrichparagraph. Demnach wäre jeder Fall, mit dem sich die Kommission einmal beschäftigt hat, endgültig erledigt und hätte nicht mehr zum Gegenstand einer Klage vor Gericht werden können. Ein weiterer Paragraph sah eine Entschädigung für die Opfer nur in Kombination mit einer Amnestie für die Täter vor. Dieser Artikel war es auch, den die Verfassungsrichter schließlich monierten.

Die indonesischen Menschenrechtler fühlen sich nun in ihrer Skepsis bestätigt. „Die Entscheidung des Gerichtes beweist, dass Regierung und Parlament kein starkes Interesse an der Aufarbeitung schwerer Menschenrechtsverletzungen haben“, heißt es in einer Erklärung der Organisationen, die vor dem Verfassungsgericht geklagt hatten. „Das Gesetz war für die Täter geschrieben, darauf kann man keine Vergangenheitsbewältigung aufbauen“, urteilt auch Petra Stockmann, Rechtsexpertin der Menschenrechtsorganisation „Watch Indonesia!“. Einig sind sich die Menschenrechtler in der Ablehnung der umstrittenen Paragraphen. Gleichzeitig sind der Zufriedenheit über das Urteil Grenzen gesetzt. Denn nun muss der gesamte Gesetzgebungsprozess wieder von vorn beginnen. Ob und wann Indonesien zu einer Wahrheits- und Versöhnungskommission kommen wird, ist wieder völlig offen.