„Sofort abschalten“

ANTI-AKW 120.000 Menschen demonstrieren im Tiergarten gegen Atomkraft. Viele sind wütend, aber sie gedenken auch der Opfer in Japan. Die taz hat sich umgehört

Mit einer Großdemonstration protestierten am Samstag laut Veranstaltern 120.000 Menschen in Berlin für einen sofortigen Atomausstieg. Auch die Polizei sprach von mehr als 100.000 Teilnehmern. Hundertfach lachte die Anti-Atom-Sonne auf Luftballons, Buttons und Fahnen. Junge, Alte, Neu- und Alt-Aktivisten kamen, ebenso Landespolitiker: Grünen-Spitzenkandidatin Renate Künast, Linken-Chef Klaus Lederer, SPD-Umweltexperte Daniel Buchholz.

■ Auf der Abschlusskundgebung auf der Straße des 17. Juni forderten Redner den endgültigen Umstieg auf erneuerbare Energien. Auch die Berliner Popband Wir sind Helden trat auf und motivierte: „Ihr Lieben, bleibt dran!“

■ Protokolle von Marie-Claude Bianco, Konrad Litschko

Gisela Ehrhardt, 84: „Nach meiner Pensionierung vor 17 Jahren wollte ich was Sinnvolles machen, da bin ich zum BUND gegangen. Seitdem arbeite ich ehrenamtlich in der Bibliothek. Gegen Atomkraft war ich immer, die kann der Mensch einfach nicht beherrschen. Die Demo ist aber meine erste. Wegen Japan. Noch so ein Unfall, und wir verlieren unsere Erde. So schnell es geht, sollten wir die Kernkraftwerke abschalten. Und dann auf erneuerbare Energie setzen.“

Luca, 11: „Ich finde es unsinnig, dass sich bisher noch keiner von den Politikern richtig dafür eingesetzt hat, die AKWs abzuschalten. Seit Tschernobyl hatte man schließlich genug Zeit, umweltfreundliche Energiequellen auszubauen. Man könnte zum Beispiel auch die Erdwärme nutzen. Aber es bleibt natürlich die Frage, was man mit all dem Atommüll macht. Auf jeden Fall müsste man ein großes Bleigrab bauen. Vielleicht könnte man ein Endlager auf dem Mond bauen. Es müsste aber sehr tief angelegt werden, damit nichts passiert, falls Meteoriten den Mond treffen.“

Hendrik Sander, 29: „Die Demo zeigt, dass viele Menschen einen wirklichen Ausstieg fordern. Das wird nicht reichen. Wir werden zivilen Ungehorsam brauchen, um den Ausstieg praktisch durchzusetzen. Atomkraftwerke blockieren, den Castor schottern, die Atomlobby stören.“

Nabil und Majd Allam, 34 und 3: „Ich will eine Zukunft für diese Generation hier auf meinen Schultern. Da ist der strahlende Atommüll schon die erste Unsicherheit. Seit der Laufzeitverlängerung fährt die Regierung viele Projekte der erneuerbaren Energien auf Sparflamme. Energie ist so ein wichtiges Thema. Wir können hier so viel Energie verballern, wie wir wollen, und im Süden freuen sie sich über eine Stunde Strom. Wir dürfen nicht auf Kosten anderer leben.“

Oliver Voigt, 46, und Leo: „Wenn was passiert, dann leidet das Tier genauso unter der Katastrophe. Ich hoffe, dass wir in ferner Zukunft mal zurückblicken und denken, wie blöd wir damals mit diesen AKWs waren. Seit zwölf Jahren lebe ich jetzt in Berlin, aber als Stuttgarter gucke ich am Sonntag natürlich auf die Wahlen in Baden-Württemberg. Ein grüner Ministerpräsident, das wär doch mal was!“

Vincent Grützke, 16, Jakob Horn, 16: „Wir sind aus Dessau und Halle gekommen. Da gibt’s auch Mahnwachen, aber wir wollten bei den großen Sachen dabei sein. Seit einem Jahr machen wir gegen Atomkraft mit. Die ist einfach menschenverachtend. In Norwegen haben sie Strom, ganz ohne AKWs, und exportieren den noch. In Deutschland kann man in 15 Jahren alle AKWs abschalten. Mit den ganzen Leuten hier werden wir auf jeden Fall was verändern.“

Jutta und Christian Rintelin, 63 und 62: „Natürlich sind wir heute hergekommen, wir haben Angst vor den Strahlen, es geht um unsere Kinder und Enkelkinder. Wir sind mitverantwortlich für das, was in unserem Land geschieht, aber unsere Kinder sind dem einfach ausgeliefert. Am meisten ärgert mich die Verlogenheit der Politik! Jahrelang tönte die CDU vom Schutz des ungeborenen Leben, wollte uns vorschreiben, was richtig und was falsch sei. Gleichzeitig haben sie fleißig die sichere Atomkraft propagiert. Keinen Deut kümmern die sich um den Schutz des Lebens! Stattdessen lügen die uns lächelnd ins Gesicht.“

Jennifer, 36, und Andrea Zenner, 42: „Ich bin nicht so die typische Demonstrantin. Im Studium war ich mal demonstrieren. Gegen Atomkraft stehe ich aber ein. Gerade bin ich aus Österreich bei meiner Schwester Andrea zu Besuch. Die sieben Kernkraftwerke vom Moratorium sollten schon mal ausbleiben. Jetzt alle AKWs sofort abzuschalten, das wäre illusorisch.“

Sänne Römer, 49: „Ich bin vor 30 Jahren schon zum Demonstrieren nach Bonn gefahren, und was hat sich geändert? Nichts! Stattdessen wurden immer mehr von den Dingern gebaut. Es sollte steuerlich belohnt werden, wenn man bewusst Strom verbraucht. Ich sehe einen kausalen Zusammenhang zwischen der Zunahme von Schilddrüsenerkrankungen und dem Unfall von Tschernobyl – auch wenn ich dafür oft belächelt wurde. Ich kenne mehr als sechs Personen, die Anfang der 90er krank wurden.“

Singh Ratan, 41: „Ich arbeite in Hamburg, pendele aber immer nach Neu-Delhi. Heute bin ich mit Freunden hier. Aber demonstrieren allein reicht nicht, für den Wandel müssen die Leute auch Geld für alternative Energien ausgeben. Da sollte man nicht nach dem Preis entscheiden. Ich habe schon seit Jahren Ökostrom. Indien sollte von Deutschland lernen. Da wird gerade schon das fünfzehnte Kraftwerk geplant. Das ist der falsche Weg, leider.“

Tülay Memis, 33: „Ich bin politisch sehr engagiert, aber auf einer Anti-Atom-Demo war ich noch nicht. Ich bin auch jetzt skeptisch. Zwar sind unglaublich viele Menschen gekommen, und die Stimmung ist sehr gut. Aber ich glaube nicht, dass Frau Merkel sich davon sonderlich beeindrucken lässt. Letztlich bestimmen doch die Wirtschaftslobbyisten, wo es langgeht. Gerade Frau Merkel sollte doch als Physikerin einen ganz anderen Blickwinkel auf diese Technologie haben. Vielleicht würde sie ja anders handeln, wenn sie selber Kinder hätte. Das klingt jetzt alles viel pessimistischer, als ich das meine. Ich habe schon Hoffnung. Aber wenn ich die Nachrichten aus Japan höre, könnte ich nur noch weinen.“

Susanne, 28, Senftenberg: „Ich bin auch schon früher auf Demonstrationen gegangen. Seit zehn Jahren sind wir schon Kunden bei Greenpeace Energy. Ich habe Angst vor einem Unfall in Deutschland. Man muss alle Kernkraftwerke so schnell wie möglich abschalten. Wir wollen eine sichere Zukunft für alle.“

Aaron, 6: Das Atomkraftwerk zeigt, wie gefährlich das ist. Eigentlich hat es mein Bruder gebastelt. Der konnte heute aber nicht mit. Meine Mutter hat mich früher schon mit auf Anti-Atom-Demos genommen hat. Zuletzt war ich in Potsdam auf einer dabei, da wohne ich. Berlin ist aber aufregender, so viele Leute.