Die Grünen auf Bewährung

GRÜNE Claudia Roth und ihre Parteifreunde jubeln. Aber sie wissen auch, dass auf dem Weg nach Berlin noch viel zu tun ist

AUS BERLIN MATTHIAS LOHRE

Der Saal war definitiv zu klein für die großen Worte. Von einer „Zäsur“ sprach die strahlende Bundesvorsitzende Claudia Roth, als sie die kleine Tribüne in der Parteizentrale in Berlin-Mitte betrat. Von einem „Tag, der die politische Landschaft nachhaltig verändert hat“. Ihre dicht gedrängt stehenden Parteifreunde jubelten ihr zu, ein paar schwenkten Plakate mit der Aufschrift „Zukunft gewinnt – BaWü, RLP, Berlin“. Die Partei ist euphorisch, aber mittendrin im Siegestaumel wird bereits erkennbar: Die Grünen sorgen sich auch, ob sie die großen Erwartungen an sie annähernd erfüllen können.

Der Erfolg der Grünen ist so umfassend, dass die Partei dessen Folgen bislang kaum absehen kann. Denn die Grünen wachsen, egal ob ihre Mitgliederzahl das hergibt oder nicht, durch Wahlerfolg und Regierungsverantwortung zur Volkspartei heran. Damit wachsen auch die Erwartungen an die Ökopartei. Angesichts des Wahlsieges, über den so oft geredet wurde, zeigte sich selbst der Parlamentarische Geschäftsführer Volker Beck am Wahlabend gegenüber der taz „ganz bewegt und erstaunt“. Zugleich beginnt im Moment des Sieges das Runterschrauben der Wählerhoffnungen.

In Baden-Württemberg etwa werden laut Beck die Grünen „die Voraussetzungen schaffen, den Wählerwillen“ beim Streitthema Stuttgart 21 durchzusetzen. Ein „Weg mit S 21“, wie das viele Grünen-Anhänger von ihrer Partei hören wollen, klingt anders.

Je mehr Macht sie erzielen, desto seltener können sie vorwurfsvoll auf ihren Koalitionspartner zeigen, wenn es etwa bei Bildung, Haushalt oder Umwelt nicht so schnell wie versprochen vorangeht. Von nun an müssen sie die Hoffnungen, die auf ihnen ruhen, unter vermehrter öffentlicher Anteilnahme erfüllen. Die Bewährungsprobe der Grünen hat gerade erst begonnen. Diese Mischung aus Freude und Last scheint allgegenwärtig im überfüllten Pressesaal der Grünen-Bundesgeschäftsstelle.

Lächelnd neben Roth stehen Renate Künast und Jürgen Trittin. Die Kofraktionschefin im Bundestag erhofft sich „grünen Rückenwind“ für ihre Kandidatur als Regierende Bürgermeisterin Berlins. Doch bislang weht ihr der Wind ins Gesicht. Auch weil dem Wahlkampf das Aufregerthema fehlt, das die seit 2002 regierende rot-rote Koalition hinwegfegen könnte. Berlin ist nicht Baden-Württemberg.

Zu den Gewinnern dieser Landtagswahlen zählt hingegen Jürgen Trittin. Der ehemalige Landes- und Bundesumweltminister konnte in der Atomdebatte seinen Anspruch als eigentliche Nummer eins der Grünen festigen.

Und seine Rolle wird noch größer werden: Künast, seine Kollegin im Fraktionsvorsitz, ist auf dem Absprung nach Berlin. Ob als Regierungschefin oder Verliererin der Abgeordnetenhauswahl – die 55-Jährige fällt als Konkurrentin um die Macht in der Partei weg. In den Jubel hinein ruft Roth, sie danke für den „unglaublich großen Vertrauensvorschuss“, und verspricht einen „Politikwechsel“. Dieser Satz lässt sich auch als Bürde verstehen.