„Ich bin nicht populistisch!“

INTERVIEW KATHARINA KOUFEN
UND PETER UNFRIED

taz: Frau Künast, Ihr Kollege Horst Seehofer hat Probleme, Parteivorsitzender der CSU zu werden, weil er einen Wert der Partei nicht vorlebt: die heile Familie. Was darf ein Grüner auf keinen Fall tun?

Renate Künast: Das Gegenteil von ökologisch sein. Selbst wenn einem das Design eines Porsches gefallen sollte: Fahren sollte man damit nicht.

Entwickeln wir die Seehofer-Analogie weiter: Ein grüner Spitzenpolitiker hält sich in Berlin eine Wohnung, die mit Atomstrom versorgt wirdund wird erwischt. Finito oder Privatsache?

Ich würde jeden Grünen bitten und dazu auffordern, den Anbieter zu wechseln. Ich glaube aber, dass das der größte Teil längst getan hat. Ich halte übrigens auch nichts davon, ein mönchisches Leben vorzuführen, sondern ein vorbildhaftes Leben.

Nach grünen Programmen heißt das: kein Auto in der Stadt und sonst ein schadstoffarmes; möglichst nicht fliegen, stattdessen Zug fahren; nicht in unsanierten Altbauten leben; nur Bioprodukte vom Bauern beziehen. Leben Sie persönlich so?

Ich behaupte mal frech: fast! Ich habe kein eigenes Auto. Ich ernähre mich zu 98 Prozent ökologisch, und zwar schon seit Zeiten, in denen andere das noch für eine putzige Idee gehalten haben. Ich beziehe Ökostrom. Ich glaube, dass ich in der Addition damit weit, weit vorne bin. Aber wissen Sie was? Ich glaube, dass die reine Vorbildwirkung von Politikern ein Träumchen ist.

Was meinen Sie?

Es ist ein Träumchen, zu glauben, dass man gerade mit dem Politikerjob, der einen viel herumbringt, 150-prozentig positiv leben kann. Wichtig ist, dass man zur Gruppe der Pioniere gehört und authentisch ist.

Flugpioniere zwischen Bonn und Berlin und Limousinenpioniere?

Diese Geschichte zwischen Bonn und Berlin muss so gelöst werden, dass es den Umzug endlich gibt. Aber ich halte nichts davon, jedem die eine Autofahrt vorzuwerfen. Es geht um ein systematisches Verändern. Und bei dem Kampf sind die Grünen immer vorn.

Beim Vielfliegen auch. Unlängst in Köln kam der halbe Parteitag eingeflogen.

Ich kann nicht gleichzeitig im Bundestag sein und in Köln, deshalb lasse ich mich von Ihnen nicht in diese Ecke drängen: Wir Grüne gehören als Gruppe zu denen, die ökologisch am besten leben. Wir lassen uns in dieser Republik verdreschen, wenn wir sagen: 20 Prozent ökologischer Landbau – aus Gründen der Gesundheit, für die Menschen und auch fürs Klima. Vieles, was diese Republik nach vorn gebracht hat, was Arbeitsplätze geschaffen hat und wo sich jetzt mancher gerne rühmt, ist mit viel Schweiß und Tränen von den Grünen durchgeboxt worden, auch gegen eine industriehörige SPD.

Wir wollen Sie nicht in die Ecke drängen. Wir wollen wissen, inwiefern Politiker Vorbild sein können im Kampf gegen den Klimawandel.

Ich habe nichts gegen die Vorbildfrage. Aber ich will nicht auf das Niveau runter, warum ich den Wagen der Fahrbereitschaft des Bundestages benutze.

Warum benutzen Sie ihn?

Um von A nach B zu kommen. Wir sind die Einzigen, die wiederholt gefordert haben: Die Fahrbereitschaft soll andere Autos haben. Von allen anderen ist das ablehnt worden. Ich kann meinen Job nicht ohne Fahrbereitschaft machen. Und ich gehe auch so weit, dass ich einen Herrn Gabriel …

… den Bundesumweltminister …

… nicht dafür kritisiere, wenn ihm sein Dienstwagen leer irgendwohin nachfährt. Ein Bundesminister kann seine Arbeit nicht tun, wenn er nicht einen Dienstwagen hat, aus dem er telefonieren, faxen, mailen, Akten bearbeiten kann. Und telefonieren, ohne dass das ganze Zugabteil zuhört. Man soll das nicht ins Putzige verkehren.

Sie haben sich als Verbraucherministerin recht erfolgreich bemüht, ökologische Lebensweise und Bioernährung von ihrem Verzichtimage hin zur Betonung ihres Wertes umzudefinieren. Beim Fliegen wird es schwieriger. Muss man da nicht doch das böse V-Wort benutzen? Muss man nicht weniger fliegen?

Natürlich. Aber ich würde es nicht als Verzicht bezeichnen. Es ist eine Verhaltensänderung. Es geht darum, sich zu überlegen: Was mach ich da eigentlich? Viele Eltern könnten sich ja auch die Frage stellen: Was für eine Welt will ich meinen Kindern übergeben? Daran gemessen, ist auch manche Wahl des Verkehrsmittels anders zu treffen.

Die Bio-Yuppies konsumieren in Ihrem Sinne bewusst, aber nach derzeitigem Definitionsstand wollen sie nicht verzichten. Sie kaufen Biofood und fliegen über Ostern nach Teneriffa.

Es gibt keine bösen Bio-Yuppies. Ich bin dankbar für jeden Pionier. Aber ich kann auch gar nichts gegen die Lifestyle-Grünen haben, also die, die den „Lifestyle of health and sustainability“ pflegen. Weil sie die Gruppe erheblich vergrößern. Wenn Leute auf einem Gebiet ökologisch leben und auf dem anderen noch nicht, heißt das doch, dass sie empfänglich sind und ich sie für weiteres begeistern kann und muss.

Die legendäre Forderung nach 5 Mark pro Liter Benzin, 1999 in Magdeburg, und die Folgen: ist das tatsächlich das „Trauma“, das die Grünen nachhaltig ängstlich gemacht hat?

Die Debatte und die Zeit sind viel weiter. Das würde heute ganz anders aufgenommen. Mir ist das aber als isolierte Forderung einfach zu schlicht. Wir setzen auf ein geschlossenes Mobilitätskonzept. 120 Gramm CO2-Ausstoß pro Kilometer sind die erste Messlatte, und für 2020 müssten 80 Gramm festgelegt werden, damit die Automobilindustrie weiß, wohin sie ihren Grips schicken muss. Die Kfz-Steuer ist für mich der erste Punkt, das zu steuern.

Warum keine Erhöhung der Mineralölsteuer?

Wir sagen jetzt, dass die Kfz-Steuer zu einer CO2-Steuer umgebaut werden muss. Wir brauchen eine Mischung aus Anreizen und gesetzlichen Regelungen, zum Beispiel durch immer strengere CO2-Regeln für die Spritfresser.

Also Autos wie den VW Touareg. Muss man den verbieten?

Zunächst mal brauchen wir für die wirklichen Spritfresser eine hohe Steuer und europaweit gültige ehrgeizige Vorgaben zur Schadstoffreduzierung.

Wer sich einen Touareg leistet, wird auch die Steuererhöhung verkraften.

Ja, entscheidend kommt es darauf an, das technisch mögliche Ein- und Dreiliterauto und ein Elektroauto auch auf dem Markt zu haben und es so einzuführen und zu bewerben, dass es oft genutzt wird. Es kommt auch darauf an, die Diskussion zu verändern: Was ist der Trend, was sind die Zukunftstechnologien? Nehmen Sie die Zeit, die jetzt endlich in Autotests den CO2-Verbrauch nennt. Wurde auch Zeit bei der Zeit.

Das ist tatsächlich eine erstaunliche Entwicklung.

Veränderung fängt auch damit an, dass den VerbraucherInnen etwas erkennbar ist. Das Umweltauto muss „in“ sein. Es muss stylisch sein.

Wie wird etwas stylisch?

Die Botschaft des Produkts muss erkennbar sein. Anders als beim VW Lupo. Der Name „Lupo“ hätte exklusiv für das Dreilitermodell gelten müssen. Toyota Prius in Hollywood funktioniert, weil jeder weiß, dass da ein Ökoauto fährt.

Sie haben die Bevölkerung zum Kauf eines Toyota Prius aufgerufen. Der Tübinger OB Palmer fährt längst einen als Dienstwagen. Sie nicht.

Ich habe jetzt keinen Dienstwagen, und als Ministerin habe ich gesagt: Ich will jetzt mindestens einen ordentlichen Diesel haben, mit Rußfilter. Als das Modell dann kam, war Seehofer dran. Er hat jetzt Glück, dass er in der Negativstatistik nicht vorn steht, sondern andere.

Toyota soll Ihnen einen Prius angeboten haben. Richtig?

Nein, bei mir ist nichts angekommen. Meine Antwort lautet, dass sie ihr Angebot an den Deutschen Bundestag richten sollen. Mir geht es nicht um den Prius, sondern um die deutsche Automobilindustrie und die Beschäftigten. Wer heute den Trend verschläft, muss morgen Werke schließen, wie in den USA zu beobachten ist.

Wie beurteilen Sie die Aktion von Bild, 104 Prius zu verlosen, um das Klima zu retten?

Bei Bild verschlägt es einem die Sprache. Das waren die größten Kämpfer gegen Klimaschutz, die alle Bemühungen immer für Irrsinn erklärt haben. Jetzt ist es „in“, und sie schreiben Tag und Nacht darüber – eine Zeit lang. Ich würde allerdings zulassen, dass sie mich vom Gegenteil überzeugen.

Inwiefern unterscheidet sich denn der Bild-Populismus von Ihrem?

Ich bin nicht populistisch! Wo ist der Veränderungswille der taz? Ich mache konsequent Politik und habe auch schon gestern dafür gekämpft, als dazu Courage gehörte. Es war richtig, es in dieser Situation zu sagen. Angela Merkel war zur Autokanzlerin geworden, hatte sich vor den altmodischen Karren der deutschen Autoindustrie spannen lassen. Da habe ich gesagt: Ich erwarte, dass die deutsche Industrie endlich moderne Autos herstellt. Und wenn sie das nicht kann, müssen die Leute Toyota Prius kaufen.

Wie kann es kommen, dass die Vorsitzenden der Klimaschutzpartei jahrelang mit klimafeindlichen, dicken BMWs rumfahren, statt selbstbewusst ein Ökoauto nach Ihrer Forderung chic zu machen?

Sie verändern das ja jetzt. Ich will mich darüber nicht erheben.

Al Gore hat es in den USA geschafft, den Kampf gegen den Klimawandel zu personifizieren. Bei den Grünen fällt einem nur der Twike- und Pflanzenöl-Fahrer Hans-Josef Fell ein.

Al Gore hat eine ganz andere finanzielle Voraussetzung. Außerdem personalisiert man in den USA mehr als bei uns. Auch die taz ist ja gegen Personenkult. Auf die Veränderung kommt es an, und da sind wir exzellent, nicht Gore. Die USA werden übrigens noch viel zu sehr mit George Bush identifiziert, der das Ökoschmuddelkind darstellt. Ich war gerade dort und habe unter anderem den Demokraten Ed Markey getroffen, den Vorsitzenden des von der Repräsentantenhaus-Sprecherin Nancy Pelosi eingesetzten neuen Klimaschutzkomitees.

Was haben Sie herausgefunden?

Ich habe festgestellt, wie viel sich da entwickelt – und zwar von unten: 400 Bürgermeister haben sich dort zu einem Klimaschutzbündnis zusammengetan. Die zehn Nordost-Bundesstaaten werden ab 1. Januar 2009 einen gemeinsamen Emissionshandel mit 100 Prozent Versteigerung machen. Die Demokraten werden zum 4. Juli ein ganzes Energiepaket vorschlagen. Die wollen wirklich große Schritte gehen. Mein Vorschlag ist, dass wir das aufgreifen und mit den Nordoststaaten der USA gemeinsam aktiv werden, etwa beim Emissionshandel.