Der Fremdenlegionär

NACHRUF Der Journalist Peter Scholl-Latour war ein Rechthaber, der leider oft recht behalten sollte

VON DANIEL BAX

Alle anderen Gäste standen Spalier und das Publikum bedachte ihn mit Standing Ovations, als Peter Scholl-Latour im Dezember 2001 den „Deutschen Fernsehpreis“ für sein Lebenswerk entgegennahm. Diese Auszeichnung sei ja so etwas „wie die letzte Ölung, ein Sakrament“, scherzte der damals 75-jährige. Wenig bescheiden, verglich er sich in seiner Dankesrede mit einem dienstältesten Soldaten im alten Rom und warnte spöttisch mit einem Zitat von Bernard Shaw: „Vorsicht vor alten Männern, sie haben nichts zu verlieren.“

Er sollte, wie so oft, recht behalten. Die Anschläge vom 11. September 2001 hatten Peter Scholl-Latour ein unerwartetes Comeback beschert, das über eine Dekade anhalten sollte. Das war auch überraschend, weil er in den neunziger Jahren weitgehend abgemeldet war. Aber als die Türme des World Trade Centers in sich zusammenstürzten und der Bedarf an Araber- und Islam-Experten auch im deutschen Fernsehen wieder anstieg, rückte der Veteran der Krisenberichterstattung wieder ins Rampenlicht. Dabei waren seine pessimistischen Prognosen, etwa zu den Aussichten des Afghanistan-Feldzugs, die er mit lakonisch-schnarrender Stimme, zunehmendem Nuscheln und arroganter Entschiedenheit vortrug, nicht immer populär.

Seinen Ruf als „Islam-Experte“ hatte sich Scholl-Latour dadurch erworben, im Flugzeug mit Ajatollah Chomeini gesessen zu haben, als dieser 1978 von Paris nach Teheran zurückkehrte und der Revolution gegen das Schah-Regime im Iran eine islamische Wende beibrachte. Zuvor hatte er den iranischen Geistlichen und späteren „Revolutionsführer“ mehrfach im Pariser Exil interviewt. Früh ahnte er, dass der Umsturz im Iran eine Zeitenwende für die ganze Region einläuten würde. Scholl-Latour inszenierte sich gerne als Welterklärer, der mit raunendem Unterton die ganz großen Linien zog und dabei mit gewagten historischen Vergleichen nicht sparte. Diese Rolle hatte er als Auslandskorrespondent kultiviert, in denen er das Bild der Deutschen von der Welt maßgeblich prägte. Seine zur Schau getragene Weltläufigkeit verlieh ihm dabei einen besonderen Nimbus.

Geboren am 9. März 1924 in Bochum, ging Peter Scholl-Latour im schweizerischen Fribourg an einem Jesuitenkolleg zur Schule. Dorthin hatten ihn seine Eltern geschickt – zu seiner Sicherheit. Sein Vater war ein Arzt aus dem Sauerland, seine Mutter stammte aus dem Elsass und entkam, als Jüdin, nur knapp der Deportation durch die Nazis. Mit 20 wollte sich Scholl-Latour der Resistance anschließen, geriet aber in Gestapo-Haft. Dafür kämpfte er nach dem Krieg als Freiwilliger mit der französischen Armee in Indochina als Fallschirmjäger. Später studierte er in Paris und Beirut, wo er sich seine rudimentären Arabischkenntnisse aneignete.

Nach 1950 begann seine Karriere als Journalist – erst als ARD-Korrespondent in Afrika, dann in Paris, bevor er zum ZDF wechselte. Als er 1973 aus Vietnam berichtete, wurden er und sein Team von Vietcong-Rebellen entführt, dafür konnte er nach seiner Freilassung mit spektakulären Aufnahmen glänzen. Sein Buch „Der Tod im Reisfeld“ über die Kriege in Indochina, 1979 erschienen, verkaufte sich mehr als eine Million Mal. In den achtziger Jahren wurde er zum Herausgeber des Stern berufen, doch das blieb eine Episode. Anschließend verlegte er sich ganz auf ein Dasein als freier Publizist, der durch Fernsehfeatures, Buch-Bestseller und Talkshow-Auftritte sein Auskommen fand.

Zwei Länder sollen noch gefehlt haben, Ost-Timor und die Antarktis, dann hätte er die ganze Welt gesehen, behauptete Scholl-Latour. Er war bei den Mudschaheddin in Afghanistan, bei den kurdischen Peschmerga, im Kongo und in Zentralasien. Auf den Titeln seiner vielen Sachbücher – meist eine Mischung aus Reportagen, Anekdoten und politischen Analysen – posiert er vor wechselnden Kulissen, anfangs hemdsärmelig, später stets mit elegantem Halstuch, aber immer mit dem Gesichtsausdruck eines Mannes, der schon alles gesehen hat. Diesen Fremdenlegionär-Gestus des ewigen Abenteurers legte er nie ganz ab. Die Inhalte seiner Bücher waren deshalb umstritten. Wissenschaftler warfen ihm vor, ein klischeehaftes und falsches Bild des Orients oder Afrikas zu zeichnen und Ängste vor der muslimischen Einwanderung nach Europa zu nähren. Schon seine alarmistischen Buchtitel wie „Afrikanische Totenklage“, „Das Schlachtfeld der Zukunft“ oder „Die Angst des weißen Mannes“ ließen ahnen, dass von ihm wenig Trost zu erwarten war. In seinem letzten Werk „Welt aus den Fugen“ verbreitete er wohligen Grusel angesichts des offenbar unausweichlichen Abstiegs Europas in einer zunehmend multipolaren Welt. „Illusionslos“ war eine seiner Lieblingsvokabeln.

Mit seinen sprachlichen Klischees und rassistischen Stereotypen stand er oft näher bei John le Carré als bei seriösem Journalismus. Immerhin konnte er zwischen den einzelnen muslimischen Gruppen und Völkern des Nahen Ostens unterscheiden, was ihn von vielen „Islam-Kritikern“ heute abhebt. Angesichts eines entfesselten Kapitalismus, den er in vielen Regionen der Welt erblickte, trauerte er ganz offen der Kolonialzeit nach, als die europäischen Mächte immerhin noch „Schulen, Spitäler und Straßen“ gebaut hätten, und in seinen pauschalen Plattitüden wie „Afrika ist schlimmer als Afghanistan“ schwang viel kolonialer Dünkel mit.

Trotz dieser Arroganz, die aus seinen Texten triefte, begegnete er seinen Gesprächspartnern mit mehr Respekt als so mancher Weltverbesserer von links oder jene Neokonservativen, die unter George W. Bush die Demokratie im Nahen Osten herbeibomben wollten. Er lehnte die Auffassung ab, dass sich das westliche Demokratiemodell auf die ganze Welt übertragen lasse. Seine Kritiker hielt er im besten Fall für naiv und idealistisch, im schlechtesten Fall für verblendet und idealistisch verbohrt. Mit seinem konservativen Pessimismus war er oft näher an der Realität als andere, die sich von ihrem Wunschdenken leiten lassen. Peter Scholl-Latour wandte sich gegen die simple Dämonisierung des Iran und islamistischer Gruppen wie der Hamas und Hisbollah, in denen er nicht einfach nur Terroristen, sondern auch populäre Widerstandsbewegungen sah. Die Hoffnungen, die in den Arabischen Frühling und die Aufstände gegen Assad und Gaddafi gesetzt wurden, hielt er dagegen für maßlos übertrieben. Peter Scholl-Latour war ein Rechthaber, der leider oft recht behalten sollte.

Am Samstag ist Peter Scholl-Latour in seinem Haus in Rhöndorf gestorben. Er wolle dort auf dem Waldfriedhof begraben werden, wo auch schon Konrad Adenauer liege. Ein Grab habe er schon gekauft: „Von dort hat man einen tollen Blick auf den Rhein“, sagte er. So bleibt er auch nach seinem Tod also noch auf dem Feldherrnhügel.