Politsatire als Märchen

Am Dortmunder Opernhaus macht Regisseurin Kerstin Maria Pöhler das, was Nicolai Rimsky-Korssakow einst als Notlösung sah: Ihre Inszenierung betont das Exotische des „Goldenen Hahns“

VON REGINE MÜLLER

Als Nicolai Rimsky-Korssakow vor ungefähr hundert Jahren auf die gescheiterte russische Revolution künstlerisch reagieren wollte, musste er vorsichtig sein. Als Sympathisant revolutionärer Ideen konnte er sich als etablierter und damals berühmtester russischer Komponist nicht so einfach outen. So musste er die gewollte Politsatire mit Alexander Puschkins Märchen vom „Goldenen Hahn“ tarnen. Die Sache ging schief, allzu deutlich waren seiner Oper die Parallelen zum herrschenden System anzumerken. Die Uraufführung seines letzten Werks ließ denn auch auf sich warten. Erst 1909, ein Jahr nach dem Ableben des Komponisten, erlebte der “Goldene Hahn“ seine erste Aufführung in Moskau. Was läge also heute näher, als der maskierten Politsatire die Märchenmaske abzureißen? Vergreiste Oligarchen, willfährige Opportunisten und in undemokratischen Strukturen unmündig verharrende Untertanen gehören keineswegs der Vergangenheit an.

Am Dortmunder Opernhaus tut Regisseurin Kerstin Maria Pöhler genau das mit offensichtlicher Freude, was Rimsky-Korssakow damals als Notlösung sah: Sie stürzt sich aufs Märchenhafte, Exotische, weidet sich an Burleske und Russland-Klischees und meidet peinlich jede Aktualisierung. Die Geschichte vom alten und müden Zaren, der von einem Magier einen goldenen Hahn geschenkt bekommt und ihm die Überwachung seines Reiches überlässt, erzählt Pöhler in satten, konventionellen Bildern. Unsinnige Schlachten und die Machenschaften der orientalischen Königin Schemacha führen in den Untergang, zurück bleibt ein ratloses Volk, das angstvoll in eine Zukunft ohne Zar blickt.

Auch hier liegt eine Aktualisierung auf der Hand. Stattdessen widmet Pöhler sich der aufwändigen, oft langatmigen Nacherzählung der schlichten Story. Der Zar in der Bärenfellhose poltert unbeholfen über de Bühne, ein runder Tisch versammelt die verwahrloste Soldateska. Bühnenbild und Kostüme (Frank Fellmann) spielen mit Gelbtönen und verwenden Pappe und Klebestreifen, immerhin halbwegs realsozialistisch. Die Königin von Schemacha (Sylvia Koke) gibt die Unnahbare und muss mit langen Krallen Ritualtänze hinlegen. Gegen Ende fliegen nach geschlagenen Schlachten Zar und Königin mittels Gleitflieger heim, Ikarus gleich. Im dichten Trockeneisnebel hebt der letzte Akt an, wo die trefflich einstudierten Chöre altrussische Gesänge anstimmen. Musikalisch kann sich der Abend auch im Ganzen hören lassen.

Ekhart Wycik im Graben lenkt das Orchester klug und mit Sinn für Klangkolorit. Ramaz Chikviladze ist ein massiger Zar, hat ein paar Gedächtnislücken, und muss sich von der Regie mehr als nötig zum Clown machen lassen. Mit harschen Registerbrüchen singt Ji Young Michel die Aufseherin „Amelfa“, Sylvia Kokes „Königin“ gurrt in den Koloraturen, klirrt jedoch in den Spitzenlagen, der „Magier“ John Daniecki zeigt imponierende Höhen darstellerischer Präsenz. Den insgesamt seltsam uninspirierten, etwas mutlosen Abend trübten zusätzlich etliche technische Pannen. Schade. Die Ausgrabung von Rimsky-Korssakows Rarität hätte deutlich mehr Biss vertragen können.

Infos: 0231-5027222