Das geht offenbar doch

SPIONAGE „Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht“, sagte die Kanzlerin zur NSA-Affäre. Nun wird klar, dass der BND Hillary Clinton, John Kerry und die Türkei anzapfte

„Die USA waren und sind kein Aufklärungsziel“

STELLUNGNAHME DES BND

AUS BERLIN ANJA MAIER

Der Ton war scharf. „Ausspähen unter Freunden – das geht gar nicht“, hatte Angela Merkel im vergangenen Oktober gesagt. Gerade hatte der einstige NSA-Mitarbeiter Edward Snowden öffentlich gemacht, dass der US-Nachrichtendienst nicht nur die Kommunikation zahlreicher Bundesbürger abgehört hatte, sondern auch das Partei-Handy der Kanzlerin. Ein Affront. Merkels „Geht gar nicht“ war das Äußerste, was in der Diplomatie möglich ist, wenn es um deutsche Kritik an den USA geht. Mit ihrem Satz hatte sich die Bundeskanzlerin weit aus dem Fenster gelehnt.

Zehn Monate später hätten sowohl die USA als auch die türkische Regierung Grund, zu ähnlichen Formulierungen zu greifen. Nach Berichten mehrerer Medien soll der Bundesnachrichtendienst (BND) Gespräche von US-Außenminister John Kerry und seiner Vorgängerin Hillary Clinton aufgezeichnet haben. Die über Satelliten geführten Telefonate aus Flugzeugen seien als „Beifang“ im Überwachungsnetz des BND gelandet, schreibt der Spiegel und beruft sich dabei auf Sicherheitskreise.

In mindestens einem Fall sei die Aufzeichnung eines Clinton-Gesprächs nicht sofort gelöscht worden, berichten auch Süddeutsche Zeitung, NDR und WDR. Ein Mitglied der Bundesregierung soll den Vorgang als „Dummheit“ bezeichnet haben.

Das Gespräch von John Kerry soll im vergangenen Jahr aufgezeichnet worden sein, während der US-Außenminister zwischen Israelis und Palästinensern vermittelte. Hillary Clintons Telefonat mit dem ehemaligen UN-Generalsekretär Kofi Annan soll hingegen 2012 mitgeschnitten worden sein, die beiden sprachen über den Syrienkonflikt.

Heraus kam die Geschichte nur, weil ausgerechnet der BND-Mann mit der Vernichtung der Abhörprotokolle beauftragt war, der nebenberuflich für die CIA arbeitete: Markus R. Dessen an die CIA weitergereichte Dokumentensammlung enthält offenbar auch das streng geheime Auftragsprofil der Bundesregierung für den deutschen Geheimdienst. Das Dokument legt fest, welche Themen für den BND Vorrang haben und welche Staaten ausspioniert werden. Ziel der deutschen Spione ist demnach auch der Nato-Partner Türkei.

In der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung verteidigte ein Regierungsinsider diese Entscheidung. Man verstoße damit nicht gegen das Diktum von Kanzlerin Angela Merkel, das Ausspähen unter Freunden gehe gar nicht. „Wir haben in den vergangenen Jahren nie behauptet, dass eine solche Haltung für alle Nato-Staaten gilt“, sagte er dem Blatt. Die Türkei sei nicht mit den USA oder EU-Partnern wie Frankreich und Großbritannien vergleichbar. Was in der Türkei geschehe, habe unmittelbare Bedeutung für die innere Sicherheit Deutschlands. Das reiche von den Aktivitäten der kurdischen PKK oder links- und rechtsextremistischer türkischer Gruppen in Deutschland über den Drogenschmuggel bis hin zur Schleuserkriminalität. Zudem sei bekannt, dass die türkische Regierung versuche, politische Ziele über türkische Vereine und Verbände in Deutschland durchzusetzen.

Am Sonntag nahm der Bundesnachrichtendienst zu den Berichten Stellung. „Grundsätzlich führen wir gegen befreundete Staaten keine Abhörmaßnahmen durch. Die USA waren und sind kein Aufklärungsziel“, sagte eine BND-Sprecherin. Zu dem Vorhalt, ihre Behörde spioniere die Türkei aus, wollte sie hingegen nicht Stellung nehmen und verwies auf das Bundeskanzleramt, das das bekannt gewordene Auftragsprofil in Abstimmung mit anderen Ministerien erstellt. Das aktuell gültige Papier stammt laut Spiegel aus dem Jahr 2009. Die anstehende Aktualisierung war wegen der NSA-Affäre verschoben worden. Eine Neufassung soll erst in den kommenden Monaten vorgenommen werden.