Die Bahn kommt eingleisig

Die Strecke Hamburg-Hannover ist die erste Sanierungsetappe der Bahn. Lange Wartezeiten und Fahrplanänderungen von Mai bis Oktober sind absehbar. Schuld ist die Bahn selbst, glauben Fahrgastverbände. Sie habe zu lange am Schienennetz gespart

VON MART-JAN KNOCHE

Die von der Deutschen Bahn verkündete Sanierungsoffensive Pro Netz nimmt die Schienen im Norden des Landes gehörig ins Visier. In dem ambitionierten Großprojekt zur „Ertüchtigung der Hauptstrecken und Knotenpunkte“ Deutschlands spielt nämlich die so genannte Nord-Süd-Magistrale – die von Hamburg gen Süden verläuft – die Hauptrolle. Alle Bahnfahrenden, deren sommerliche Reisewege durch Niedersachsen, Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern führen, können sich schon einmal auf Warte- und längere Fahrzeiten sowie Umleitungsrouten einstellen.

Vage Ankündigungen der Eisenbahner ließen bereits vergangene Woche Baumaßnahmen mit starken Auswirkungen für den Nah- und Fernverkehr vermuten. Seit der letzten Stellungnahme der Konzernabteilung für Infrastruktur und Dienstleistungen vom Freitag ist aber klar: Das überbeanspruchte Streckennetz zwischen Hamburg und Hannover steht auf der Prioritätsliste von Pro Netz ganz oben. Ab April liegt es in einem großflächigen Baustellen-Korridor für zahlreiche und „sehr große“ Sanierungsarbeiten, wie die Bahnsprecher bekannt gaben.

Die derzeitige Netzbelastung der Strecke läge bei 121 Prozent, ein Plus von 16 Prozent werde bis 2015 prognostiziert. 350 Züge rollen jeden Tag mit durchschnittlich 200 km/h über die zweigleisige Trasse. Die hohe Netzauslastung sei vor allem dem rasant ansteigenden Güterverkehr im Hinterland der großen Seehäfen geschuldet, der nun Gleiserneuerungen notwendig mache, heißt es bei der Bahn. Allein im vergangenen Jahr stieg der Gütertransport auf Schienen landesweit um 10,8 Prozentpunkte. Und nun gehe es darum, das Netz „fit für die Zukunft zu machen“. Dies bedeutet teilweise Baustellen mit Folgen auf den Verkehrsfluss: An der Ostausfahrt des Hannoveraner Hauptbahnhofs muss die fünfgleisige Brücke am Schiffgraben komplett erneuert werden – während der Verkehr weiter rollt.

Für den Fahrgastverband Pro Bahn liegen die Ursachen der Mängel im Bestandsnetz weniger in einer Renaissance des Schienenverkehrs als an Knauserigkeit an falscher Stelle. „Ein chronischer Instandhaltungs-Rückstand, gerade zwischen Hamburg und Hannover“ sei der Grund der Streckensanierung, sagte der Pro Bahner Joachim Kemnitz der taz. Der Verschleiß sei hier enorm, doch da die Bahn bis dato keinen Netzzustandsbericht erstellt habe, habe es bisher auch keinen langfristigen Netzausbau und unterhalt gegeben. Man habe, um zu sparen, sogar die Weichenanzahl reduziert. Nun sei mit gestrichenen Zügen zu rechnen. Denn die reduzierten Kapazitäten der Strecke würden durch die geplanten Sanierungsarbeiten nochmals erheblich gesenkt. „Da die meisten ICE aus dem Süden in Hamburg enden, sind die Anschlussverbindungen nach Kiel, Cuxhaven oder Westerland gefährdet“, sagt Kemnitz. Umsteiger müssten ab dem Frühjahr warten.

Einem Ausnahmezustand gleich, werden sodann bis in den Herbst hinein gesonderte Baufahrpläne über den dichten Zugverkehr zwischen den beiden norddeutschen Metropolen verhängt. Wenngleich die Bahnkommunikanten zu den regionalen Bauvorhaben und konkreten Fahrplanverschiebungen noch bis Wochenmitte großes Schweigen ansagten – soviel ist sicher: Die Güter- und Personenbeförderung wird, streckenweise nur auf einem Gleis dahin rollend, ins Stocken und die minutengenaue Abstimmung mit dem Regional- und Fernverkehr aus den Fugen geraten.

Die Instandhaltungsmaßnahmen auf der Strecke Hamburg-Hannover „haben natürlich eine große Netzwirkung zur Folge“, sagt Diana Scharl von der Abteilung Infrastruktur und Dienstleistungen der Bahn. Man wolle jedoch vermeiden, „dass der Fahrgast von April bis September jeden Tag einen anderen Fahrplan vorfindet“. Die Sonderpläne seien deshalb möglichst planbar strukturiert, so dass auch Pendler sich auf eine neue Regelmäßigkeit ihrer Strecken und Fahrzeiten einstellen könnten, sagte Scharl.

Pro Bahn hingegen kritisiert, dass die Fahrpreise nicht gesenkt werden sollen. Denn: Die veröffentlichten Baufahrpläne verhinderten das Recht auf Kostenrückerstattung, obwohl viele Fahrgäste ihre Anschlusszüge verpassen würden und teilweise Stunden des Wartens in Kauf nehmen müssten. Auf der Strecke von Hamburg nach Hannover sei mit Verspätungen von 30 Minuten zu rechnen, sagt Joachim Kemnitz von Pro Bahn. Allein der ICE in Richtung Basel, der im zwei Stundentakt von Hamburg fährt, würde Verspätungen bis in die Schweiz mitnähmen.