„Gaddafi muss gehen!“

DIPLOMATIE In London berät eine internationale Konferenz über die Zeit nach Gaddafi. Und Barack Obama verteidigt die Intervention

„Einige Nationen können vielleicht die Kriegsgräuel in anderen Ländern ignorieren. Die USA sind da anders“

BARACK OBAMA

LONDON/WASHINGTON dpa/taz | Was kommt nach Muammar al-Gaddafi? Anderthalb Wochen nach Beginn der alliierten Angriffe sucht die internationale Gemeinschaft nach Szenarien für die Zukunft Libyens nach dem möglichen Rückzug des Machthabers. Vertreter aus mehr als 40 Nationen beraten in London über politische Perspektiven des Landes und humanitäre Probleme, etwa die Versorgung der Bevölkerung mit Trinkwasser und Lebensmitteln.

Vertreter der Rebellen nahmen an dem Treffen nicht offiziell teil. Vor Beginn suchten jedoch mehrere westliche Politiker, darunter auch Bundesaußenminister Guido Westerwelle, das Gespräch mit den nach London gereisten Entsandten des libyschen Übergangsrats. Zugleich legte der Übergangsrat erstmals ein politisches Programm für die Zukunft Libyens vor. Darin wurde der Aufbau eines demokratischen Rechtsstaats als oberstes Ziel genannt. Das Gremium stellte die Ausarbeitung einer demokratischen Verfassung und freie Wahlen in Aussicht. Ziel sei es, einen „modernen, freien und vereinten Staat“ zu schaffen. In London forderten sie zudem Waffen: „Wir bitten jeden um Hilfe, und ein Punkt davon ist, unserer Jugend bessere Waffen zu geben“, sagte ein Sprecher des Rats.

Für die Zeit nach Gaddafi wurden in London mehrere Modelle diskutiert. Alle sehen einen baldigen Waffenstillstand vor. Unterschiedliche Auffassungen herrschen darüber, wie mit dem Machthaber selbst umgegangen werden soll. Während etwa Italien eine Exillösung befürwortet, wollen die USA, Großbritannien und Frankreich, dass Gaddafi vor dem Internationalen Strafgerichtshof der Prozess wegen Kriegsverbrechen gemacht wird.

Westerwelle bot der libyschen Opposition Hilfe bei einer politischen Neuordnung und beim Wiederaufbau nach Ende der Militäroperation an. US-Außenministerin Hillary Clinton bekräftigte die Entschlossenheit der internationalen Gemeinschaft, Gaddafi zum Rücktritt zu zwingen. „Er muss gehen!“, sagte sie.

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon untermauerte den Führungsanspruch der Vereinten Nationen bei der Lösung des Konfliktes. Der russische Außenminister Sergej Lawrow kritisierte in Moskau, dass die Militäraktion gegen die UN-Resolution verstoße, die nur dem Schutz der Zivilbevölkerung diene.

Am Montagabend hatte US-Präsident Barack Obama in einer halbstündigen Rede den Militäreinsatz vor der Kritik im eigenen Land verteidigt: „Wenn wir einen Tag länger gewartet hätten, wäre in Bengasi ein Massaker möglich gewesen, das auf dem Gewissen der Welt gelastet hätte. Das zu verhindern lag in unserem nationalen Interesse“, sagte er in einer vom Fernsehen übertragenen Rede an der Militär-Universität in Washington.

Ein Sieg Gaddafis hätte die Flüchtlingsströme in die Nachbarländer verschärft und die demokratischen Hoffnungen in der Region gefährdet. Ohne Deutschland und andere Staaten namentlich zu erwähnen, die im UN-Sicherheitsrat der Libyen-Resolution nicht zugestimmt hatten, sagte er: „Einige Nationen können vielleicht die Kriegsgräuel in anderen Ländern ignorieren. Die USA sind da anders. Als Präsident konnte ich nicht so lange warten, bis es Bilder von Gemetzel und Massengräbern gibt.“

Obama erinnerte an die Verwicklung Libyens in Terroraktionen in den achtziger Jahren, erwähnte aber nicht, dass sich Gaddafi in den vergangenen Jahren mit den USA arrangiert hatte und dessen Sohn Chamis noch im Januar dieses Jahres von amerikanischen Politikern, Intellektuellen und Industriellen empfangen wurde.

Die Rolle der USA sei „begrenzt“. Nachdem die Nato das Kommando am Mittwoch übernehme, werde man Druck auf Gaddafi ausüben. Doch weiter werde man nicht gehen: „Unsere Militärmission auszuweiten, um einen Regimewechsel einzuschließen, wäre ein Fehler.“ Im Irak habe der Regimewechsel acht Jahre gedauert, tausende US-Amerikaner und Iraker seien gestorben und der Krieg habe fast eine Billion Dollar gekostet. „Wir können es uns nicht leisten, das in Libyen zu wiederholen.“

Zwar könne die USA nicht gegen alle Diktaturen militärisch vorgehen. Aber in Libyen sei es um amerikanische „Interessen und Werte“ gegangen. Zudem hätten die USA „die Lasten mit anderen geteilt“. Beobachter versuchten, daraus eine „Obama-Doktrin“ abzuleiten: Multilaterales Vorgehen statt militärischer Alleingänge; das Ziel: nicht Regimewechsel, sondern Verhinderung von Massakern. DORA