Die Radikalen beider Seiten bleiben skeptisch

Heute wählt Nordirland ein neues Regionalparlament. Ob es funktioniert, hängt vor allem von Ian Paisley ab

DUBLIN taz ■ Heute wählen die Nordiren ihr neues Regionalparlament. Ob es aber jemals seine Arbeit aufnehmen wird, ist ungewiss. Dazu müsste die Democratic Unionist Party (DUP) des Protestantenpfarrers Ian Paisley, die stärkste Partei bleiben wird, eine Koalition mit Sinn Féin („Wir selbst“) eingehen, dem politischen Flügel der Irisch-Republikanischen Armee (IRA). Denn die wird auf katholisch-nationalistischer Seite erneut die meisten Stimmen erhalten.

Die Vorstellung, mit Sinn Féin am Kabinettstisch zu sitzen, ist für Paisley, der in wenigen Wochen 81 Jahre alt wird, nicht angenehm. 40 Jahre lang hat er alle Versuche hintertrieben, Katholiken an der Macht zu beteiligen. Auch das Belfaster Abkommen vom Karfreitag 1998, das eine Mehrparteienregierung vorsah, lehnte er von Anfang an ab. Als seine Partei bei den Wahlen vor vier Jahren stärkste Kraft in Nordirland wurde, musste neu verhandelt werden.

Das Ergebnis war ein neues Abkommen, das der britische Premierminister Tony Blair und sein irischer Amtskollege Bertie Ahern im vergangenen Oktober im schottischen St. Andrews mit den nordirischen Parteien aushandelten. Demnach sollen das Belfaster Regionalparlament und die Regierung bis zum 26. März installiert sein. Beide wurden vor gut vier Jahren suspendiert, weil die Polizei im Büro von Sinn Féin angebliches Spionagematerial gefunden hatte.

Ansonsten unterscheidet sich das neue Abkommen wenig vom alten, aber da es einen anderen Namen hat, konnte Paisley einen Sieg reklamieren. Die Frist für die Wiedereinsetzung der Regierung wird er wohl dennoch nicht einhalten. Zunächst hat er in seinem Wahlmanifest weitere Forderungen aufgestellt: Er fordert von der britischen Regierung Milliardeninvestitionen sowie eine niedrige Körperschaftssteuer, um Nordirland zu einem ähnlichen Wirtschaftsaufschwung zu verhelfen wie der Republik Irland. Außerdem verlangt er, dass Sinn Féin aus der Regierung ausgeschlossen werden kann, falls ihr oder der IRA Fehlverhalten nachgewiesen wird.

Dagegen wehrt sich Sinn Féin, doch für deren Chef Gerry Adams gibt es keine Alternative zum Regionalparlament. Er hat der skeptischen Parteibasis seit zehn Jahren die Regierungsbeteiligung schmackhaft gemacht und Kompromisse durchgeboxt, die bis dahin nicht für möglich gehalten wurden. So akzeptiert man nun, dass eine irische Vereinigung nur mit Zustimmung der Unionisten möglich ist, die IRA hat ihre Waffen abgegeben, und im Januar wurde beschlossen, mit der Polizei zu kooperieren. Für viele IRA-Aktivisten war das zu viel. Rund 400 ehemalige IRA-Gefangene haben vorgestern einen offenen Brief unterzeichnet, in dem sie dazu aufrufen, gegen Sinn Féin zu stimmen.

Auch für Paisley ist die vorsichtige Annäherung an Sinn Féin nicht ohne Risiko. Zum ersten Mal wird der reaktionäre Pfarrer von rechts kritisiert. Viele seiner Parteimitglieder rebellieren, in seinem eigenen Wahlkreis Ballymena unterstützen 10 der 15 Bezirksverordneten den Kandidaten der United Kingdom Unionist Party (UKUP) des Rechtsaußen Robert McCartney, der jede Machtbeteiligung von Sinn Féin kategorisch ablehnt.

Auch viele der ehemaligen protestantischen bewaffneten Kämpfer, die Paisley bisher auf ihrer Seite wähnten, fühlen sich von ihm verraten. „Bin ich etwa in den Knast gegangen“, fragt der Pfarrer Kenny McClinton in einem offenen Brief an Paisleys Sohn Ian junior, „damit DUP-Politiker und ihre Söhne hochbezahlte Jobs kriegen und Geld auf ihren Bankkonten anhäufen? Ich habe am 10. Mai 1977 einen Mann erschossen, damit der öffentliche Verkehr zum Erliegen kommt. Und warum? Weil ich den nicht sehr populären Aufruf deines Vaters für einen Generalstreik unterstützen wollte.“ Schon damals ging es darum, die Machtbeteiligung von Katholiken zu verhindern.

Paisley junior verteidigt seinen Vater. „Die IRA hat den Kampf für ein vereintes Irland verloren“, antwortete er. „Wir konnten sie nicht töten, aber wir können sie und ihre Ideologie zerstören.“ Die Anerkennung der Polizei sei der letzte Sargnagel gewesen. „Sieh doch, wer jetzt unter Druck ist – die Verräter in Sinn Féin“, schrieb Paisley junior. „Frohlocke, Kenny, unsere Feinde zerfleischen sich selbst.“ Und mit denen sollen Paisley und Co. nun eine Regierung bilden.

RALF SOTSCHECK