Giftgerüchte um Abdullah Öcalan

Anwälte des inhaftierten Ex-PKK-Chefs wollen in dessen Haaren erhöhte Werte von Strontium und Chrom nachgewiesen haben. Türkische Regierung lehnt unabhängige Gutachter ab. Kurdenpolitiker warnt vor der Gefahr wachsender Spannungen

AUS ISTANBUL JÜRGEN GOTTSCHLICH

Abdullah Öcalan, vor acht Jahren zu lebenslänglicher Haft verurteilter Chef der kurdischen militanten PKK, bestimmt seit einigen Tagen wieder die Agenda der türkischen Politik. Mit der Meldung, die in der vergangenen Woche seine Anwälte in Rom lancierten, der prominenteste Gefangene der Türkei würde langsam vergiftet, ist Öcalan aus der Versenkung auf der Gefängnis-Insel Imrali wieder in die Schlagzeilen zurückgekehrt. Als Beweis für ihre Behauptung hatten die Anwälte eine Untersuchung einiger Haare Öcalans vorgelegt, bei der erhöhte Werte von Strontium und Chrom festgestellt worden seien. Dieser Umstand deute auf eine chronische Vergiftung Öcalans hin. Ihrem Mandanten, so die Anwälte, gehe es entsprechend schlecht.

Nachdem die türkische Regierung zunächst abgewunken und den Auftritt in Rom als reine Propaganda abgetan hatte, hat sie angesichts anhaltender Proteste im Ausland und im kurdisch besiedelten Südosten der Türkei jetzt doch drei Ärzte nach Imrali beordert. Diese sollen Öcalan noch einmal untersuchen und anschließend vom forensischen Institut des Gesundheitsministeriums Blut-, Urin- und Haarproben analysieren lassen.

Die Forderung von 54 Bürgermeistern der prokurdischen Partei für eine demokratische Gesellschaft (DTP), die Regierung solle unabhängige Gutachter zu Öcalan vorlassen, lehnte Justizminister Cicek als „unwürdig“ ab. Schließlich sei die Türkei ein Rechtsstaat und keine Bananenrepublik.

Es ist deshalb absehbar, dass die Ergebnisse der offiziellen Untersuchung, die noch diese Woche vorgelegt werden sollen, die Kritiker nicht überzeugen und deshalb auch nicht dazu führen wird, die bereits entstandenen Spannungen und Auseinandersetzungen wieder einzudämmen.

Die stellvertretende DTP-Vorsitzende Aysel Tugluk warnte bereits, dass, falls die Vorwürfe nicht zweifelsfrei widerlegt würden, das „unvorstellbar schwere Konsequenzen“ für die Türkei nach sich ziehen werde. Öcalan habe nach wie vor großen Einfluss auf viele Leute und seine Sympathisanten würden auf einen solchen Vorfall massiv reagieren.

Für zusätzliche Empörung sorgte vor zwei Tagen noch ein Urteil gegen den DTP-Vorsitzenden Ahmet Türk, der Öcalan auf einer Pressekonferenz mehrmals als „Herrn Öcalan“ bezeichnet hatte und nach Ansicht des Gerichts damit einen Straftäter verherrlicht habe. Türk erhielt sechs Monate auf Bewährung. Kürzlich war er schon einmal zu eineinhalb Jahren auf Bewährung verurteilt worden, weil die DTP Flugblätter auf Kurdisch verteilt hatte, Parteien in der Türkei aber Publikationen nur auf Türkisch abfassen dürfen.

Eine völlig überraschende Diskussionsfront eröffnete dagegen vor wenigen Tagen der frühere Putschgeneral und spätere Staatspräsident Kenan Evren. Ausgerechnet Evren, der die türkische Demokratie durch seinen Putsch im September 1980 um Jahre, wenn nicht Jahrzehnte zurückgeworfen hat, schlug vor, man solle endlich ernsthaft darüber diskutieren, die Türkei zu föderalisieren und in acht Bundesstaaten zu unterteilen. Andernfalls käme man nie zu einem inneren Frieden.

Während die Nationalisten ob dieses Tabubruchs schier aus dem Häuschen sind und ein Staatsanwalt gar Ermittlungen wegen Aufruf zum Separatismus einleitete, ließ Abdullah Öcalan über seine Anwälte mitteilen, er unterstütze die Vorschläge Evrens. Der Exstaatschef schätze dank seines militärischen Genies die Gefahr für die Türkei richtig ein und schlage deshalb nun ein föderales System vor.