„Das ist kein Medienbuch“

MATTHIAS FRINGS Der Exfernsehmoderator hat einen Roman über einen Exfernsehmoderator geschrieben – und zieht nur widerwillig Parallelen

■ Vor dem Fernsehen: 1953 in Aachen geboren, wo er Anglistik, Germanistik und Linguistik studierte und eine Schwulengruppe mitgründete. 1982 Koautor des Ratgebers „Männer-Liebe“. Ab 1985 SFB-Radiomoderator.

■ Im Fernsehen: Von 1992 bis 1995 moderierte er die Erotiksendung „Liebe Sünde“ (Vox, ProSieben), die er bis 1999 produzierte.

■ Nach dem Fernsehen: 2009 erschien die Ronald-Schernikau-Biografie „Der letzte Kommunist“ und kürzlich der Roman „Ein makelloser Abstieg“, in dem er den ausgestiegenen TV-Star Simon Minkoff und den freien Journalisten Gregor Böhm aufeinanderhetzt.

INTERVIEW DAVID DENK

taz: Herr Frings, ich würde gern mit Ihnen über die Fernsehwelt sprechen, in der Ihr Roman „Ein makelloser Abstieg“ spielt.

Matthias Frings: Das ist ja mal was ganz Neues! Wie originell! Kein Journalist will mit mir über das Buch reden, alle interessieren sich nur für die ach so schillernde Fernsehwelt. Das kommt mir aber bekommt vor: Auch bei meinem letzten Buch, der Ronald-Schernikau-Biografie „Der letzte Kommunist“, wurde meine Arbeit kaum gesehen, stattdessen taten viele Feuilletonredakteure so, als hätten sie höchstpersönlich Schernikau entdeckt.

Aber diese Geister haben Sie doch gerufen, indem Sie „Ein makelloser Abstieg“ in dieser Welt angesiedelt haben.

Das ist nicht wahr. Das ist kein Medienbuch. Es spielt höchstens zu einem Drittel in dieser Welt. Dieses Buch hat ein ganz anderes Thema – das die Medien freilich berührt: Es geht um Öffentlichkeit und Privatheit und um das Verschwinden der Trennschärfe zwischen beiden Sphären. „Ein makelloser Abstieg“ ist eigentlich ein klassischer Entwicklungsroman. Der könnte auch in einer Metzgerei spielen.

Aber er spielt doch nicht zufällig im Medienzirkus.

Natürlich nicht. Mein Hauptthema lässt sich da am besten aufhängen, weil das Fernsehen in einer bisher unbekannten Hemmungslosigkeit das Private öffentlich macht. Ich habe gar nichts dagegen, dass Frauen mit ihren Brüsten Melonen zerschlagen oder Männer mit ihren Penissen Xylofon spielen – solange die Musik schön ist und ich nicht ausschließlich mit so einem Mist beballert werde. Beides ist leider die absolute Ausnahme.

Warum sind Sie ins Fernsehen gegangen?

Ich brauchte Geld und hatte keinen Job. Das Fernsehen hatte schon häufig seine Finger nach mir ausgestreckt, ich habe immer Nein gesagt. Als ich dann aber irgendwann meine Miete nicht mehr bezahlen konnte, bin ich zu einem Casting gegangen und habe den Job gekriegt. Dabei hat mich das Medium nicht interessiert. Und ich fand die Macher immer so furchtbar aufgeblasen.

Kellnern war keine Option?

Gekellnert hatte ich schon vorher, ich brauchte was mit Perspektive. Übrigens bin ich ein sehr viel besserer Kellner als Fernsehmann gewesen.

„Ich habe die Hölle von innen gesehen“, haben Sie über Ihre Fernsehzeit gesagt. War es wirklich so schlimm?

Das Wort „Humankapital“ etwa habe ich zum ersten Mal in einer Versammlung bei einem deutschen Privatsender gehört. Und auch wenn ich dazu neige, vielleicht 100 Gramm zu viel auf die Waage zu legen, ist es ein sehr hartes und bitteres Business geworden. Längst regieren die Controller, es geht nur noch um Profit und darum, das Programm zur Profitmaximierung auf das tiefst- und breitestmögliche Level zu bringen. Frauen jenseits der 40 können auf dem Bildschirm nur noch mit Schönheits-OP überleben, Ecken und Kanten sind unerwünscht, denn ein Profil könnte ja Leute ausgrenzen. Deswegen ist das Medium auch von Pilawas überschwemmt, alle irgendwie nett und irgendwie hübsch. Wer die sieht, könnte glauben, dass man sich nur das Haar verwuscheln, das Hemd aus der Hose ziehen muss – und schon ist man Moderator. Wenn diejenigen, die für Qualität stehen, merken, dass das gar nicht gewollt ist, sind Verletzungen programmiert. Ständig gedeckelt zu werden im Namen eines Zuschauers, der für dümmer gehalten wird, als er ist, ist entwürdigend. Ich habe nie verstanden, warum Senderverantwortliche ihr Publikum so hassen.

Wer ist der Teufel in Ihrem Bild?

Der Teufel ist schon der Zuschauer. Er bestimmt durch seine Sehgewohnheiten, was läuft – und womit die Programmmacher ihn verschonen. „Der Wurm muss dem Fisch schmecken und nicht dem Angler“, hat RTL-Gründungschef Helmut Thoma vor Jahren gesagt und damit den Kurs vorgegeben. Welch verheerende Konsequenzen das hat, zeigt sich, wenn eine fantastische Fernsehserie wie „Im Angesicht des Verbrechens“ von Dominik Graf bei den Zuschauern durchfällt, weil viele Qualität nicht mehr erkennen. Sie sind entwöhnt, haben keine Geduld mehr, weil sie ihnen nicht mehr abverlangt wird. Das soll keine Entschuldigung sein – oder höchstens eine kleine. Denn der Zuschauer hat Macht. Er muss sie sich nur nehmen. Wegen Zuschauerprotesten zeigt das Erste die US-Serie „Taras Welten“ nicht mehr nur nachts, sondern zusätzlich auch zur Primetime – zwar nur auf dem Spartenkanal Eins Festival, aber immerhin.

Nach nur drei Jahren haben Sie die Moderation von „Liebe Sünde“ abgegeben. Warum?

Erstens hat „Liebe Sünde“ begonnen, mich als Moderator zu langweilen – auch wenn ich als dessen Erfinder sehr an dem Format hing und stolz darauf war und bin. Doch die Erschöpfung liegt in der Natur der Sache, weil die Synonyme für „Kopulation“ und „Masturbation“ trotz aller aufgebrachten Energie endlich sind. Es war also einfach Zeit für ein neues Gesicht. Und der zweite Grund war, dass es mich zunehmend unfroh gemacht hat, eine öffentliche Person zu sein, ständig begafft und um Autogramme gebeten zu werden. Als die Handys mit Kamerafunktion aufkamen, ging die Hölle auf. Man wurde zu Freiwild, das beim Milchkaufen genauso abgeschossen werden kann wie morgens um fünf am Flughafen – ohne zu fragen.

Die Szene, in der ein Fan die Hand Ihres Helden Simon Minkoff mit den Worten „Es winkt“ in die Kamera hält, beruht auf einer realen Erfahrung, oder?

Ja, das ist jemandem so passiert. Die Szene zeigt für mich glasklar die Konsequenzen von Bekanntheit: dass man zum Ding wird in diesem Medium. Und mit einem Ding kann man umspringen, wie man will: Da muss man nicht höflich sein, das darf man anfassen, und dem gegenüber darf man sich auch ganz inkongruent verhalten. Ich habe es erlebt, dass ich, wenn ich mal ein Autogramm verweigert habe, von einem angeblich „großen Fan“ als „dreckige schwule Sau“ beschimpft worden bin. Dieselbe Person – binnen Sekunden! In solchen Situationen offenbart sich in aller Härte, dass der Medienhype Lug und Trug ist. Es ist eine völlige Fehlkalkulation, dass die Adoration von vielen Menschen, von Massen womöglich, dir Liebe entgegenbringt. Und doch ist die Suche danach sicher neben Geld die Hauptmotivation für eine Fernsehkarriere …

die immer mehr junge Leute anstreben. Ihr väterlicher Rat?

Ich fühle mich nicht dazu berufen, irgendwem irgendwas zu raten. Man muss nur wissen, dass man ab einem bestimmten Grad von Bekanntheit den Zugang zur Welt verliert. Man steht unter ständiger Beobachtung und muss damit klarkommen, dass alles, was man tut, interpretiert und gegebenenfalls sanktioniert wird. Wer wie ich gern Straßenbahn fährt, muss sich schon mal anhören, ob das Geld nicht mehr für ein Taxi reicht. Man wird in die Abgeschiedenheit gezwungen durch diesen aus den Träumen der „normalen“ Leute resultierenden Reflex. Das erklärt auch die VIP-Lounges, die VIP-VIP-Lounges und die besonderen Tische in Restaurants, durch die man herausgehoben und abgeschoben zugleich ist.

Dass seine „Entöffentlichung“ Fortschritte macht, merkt Ihr Romanheld, als er etwa zwei Jahre nach seinem letzten TV-Auftritt im Restaurant neben dem Klo platziert wird. Wie lange hat es bei Ihnen gedauert?

Deutlich länger. Bis ich nicht mehr täglich angesprochen wurde, vielleicht fünf Jahre – auch wenn die Figur Simon Minkoff deutlich prominenter angelegt ist, als ich es jemals war. Aber ich habe sehr geklebt in den Erinnerungen der Leute, weil das Format neu war, es um Sexualität ging und ich nicht so der typische Durchschnittsmoderator ohne Eigenschaften war.

Und heute?

Heute habe ich meine Ruhe. Herrlich! Angesprochen werde ich vielleicht noch einmal die Woche. Von netten Leuten meistens. „Machen Sie doch noch mal was im Fernsehen, Herr Küppersbusch“, bitten mich manche.

Juckt es Sie dann?

Eigentlich nicht. Wobei ich bei Lesungen schon entdecke, dass mein inneres Zirkuspferd noch galoppiert, sobald das Rotlicht angeht. Das ist in Interviews nicht anders. Es fällt mir sehr schwer, eine Bühne zu betreten und nicht unterhaltend zu sein. Ich würde so gern mal den schlecht gelaunten, schlecht gekleideten Schriftsteller geben, der seinem Bauchnabel vorliest, schaffe es aber einfach nicht.