Abschiebepraxis verletzt Menschenrechte

Österreichs Verwaltungsgericht verweist Fremdenrecht ans Verfassungsgericht. Rechte Politiker für schärfere Gesetze

WIEN taz ■ Wer nach Österreich einreist und einen Asylantrag stellt, wird routinemäßig eingesperrt. Das lässt das Anfang 2006 in Kraft getretene neue Fremdenrecht zu. Seither reicht der Verdacht aus, dass Österreich gar nicht zuständig sein könnte, um den Asylbewerber in Abschiebehaft zu nehmen. Der Verwaltungsgerichtshof hat diese Regelung gestern für menschenrechtswidrig befunden und einen Antrag an den Verfassungsgerichtshof gerichtet, den betreffenden Paragrafen des Fremdenpolizeigesetzes aufzuheben.

Anlass ist die Beschwerde eines Russen, der über Polen und Tschechien nach Österreich einreiste, und von der Polizei „zur Sicherung des Verfahrens“ in Abschiebehaft gesteckt wurde. Denn nach dem Abkommen von Dublin ist für Asylverfahren jener Staat zuständig, wo die betreffende Person erstmals EU-Boden betreten hat. In der Praxis werden Asylbewerber oft monatelang eingesperrt, weil das Verfahren, in dem die Zuständigkeit geklärt wird, erst Wochen nach dem Grenzübertritt beginnt. Allein 2006 sind über 1.300 Menschen in Österreich aufgrund dessen eingesperrt worden. Die Anzahl der Abschiebehäftlinge hat sich gegenüber 2005 fast verfünffacht. Menschenrechtsorganisationen und die Grünen haben das neue Fremdenrecht von Anfang an heftig kritisiert. Selbst der Verfassungsdienst des Bundeskanzleramts hatte Bedenken aus rechtsstaatlichen Erwägungen angemeldet.

Die exzessive Verhängung der Abschiebehaft ist aber nicht die einzige Verschärfung des Fremdenrechts, die Menschenrechtlern bekämpfen. Auch die Zulässigkeit der Inhaftierung von traumatisierten Personen und der Abschiebung von Ehepartnern werden vor dem Verfassungsgerichtshof angefochten.

Die Grünen halten die Abschiebehaftpraxis nicht nur für menschenrechtswidrig, sondern auch für dumm. Ein Tag Abschiebehaft koste den Staat 120 Euro, ein Tag Betreuung eines Asylbewerbers bei der Caritas oder in der Bundesbetreuung 17 Euro.

Justizministerin Maria Berger und Nationalratspräsidentin Barbara Prammer, beide SPÖ, haben wiederholt den Wunsch nach einer Entschärfung der Reform geäußert. Doch für Innenminister Günter Platter, ÖVP ist die Fremdengesetze ein Erfolg. 2006 sei die Anzahl der Asylanträge drastisch zurückgegangen.

FPÖ und BZÖ fordern noch schärfere Maßnahmen. Auch Herwig van Staa, ÖVP-Landeshauptmann von Tirol, ist für eine härtere Gangart. Er hat vorgeschlagen, straffällige Asylwerber, die nicht abgeschoben werden können, „zu internieren“. Auf den Vorwurf der Grünen, Internierungslager, wo Menschen auf unbestimmte Zeit festgehalten werden können, habe es zuletzt in der Nazizeit und im Austro-Faschismus gegeben, reagierte van Staa mit persönlichen Angriffen auf Grünen-Chef Alexander Van der Bellen. Ihm sei das Gerücht zugetragen worden, dass dessen Familie „unter ungeklärten Umständen“ von Estland nach Tirol eingewandert sei. Möglicherweise wegen eines Naheverhältnisses „zu früheren Systemen“. Van der Bellen fordert eine Entschuldigung. RALF LEONHARD