Deutsch-dänische Textschlacht

GESCHICHTSTHEATER Das Kieler Theater Factory widmet sich in „1864 Tagebuch einer Katastrophe“ im Schloss Gottorf der entscheidenden Schlacht des Deutsch-Dänischen Krieges. Statt Bühnen-Gemetzel inszeniert es ein Stück im Stück

Zum Popcorn schmecken blutbrodelnde Filme über Sieger und Verlierer in der Kampfsportart Krieg, auch Computerspiele nutzen militärische Gräuel als Szenario für spannendes Entertainment. Mit „14–18“ kam im belgischen Mechelen ein Musical über die Westfront des 1. Weltkriegs zur Uraufführung. Und wenn in Shakespeare-Stücken Killerkommandos losmetzeln, veralbern Theatermacher das gern mal als Comic-Splatter-Trash.

Andererseits strebt Kunst danach, drastisch konkret zu zeigen, was Krieg mit Menschen macht und möchte für das Event der archaischen Schlachtarien mehr als nur intellektuell empfänglich machen. Alptraumgefahr! Auf die Bühne ist Kriegshorror so erschütternd nicht zu holen. Aber dorthin zu übersetzen, formal gebändigt. Exemplarisch gelang das in Hamburg Luc Perceval. Am Thalia konzentrierte er sich auf ein Spiel der Worte: Theater als Hörbuch aus den Schützengräben von beiden Seiten der „Front“, unterlegt mit Krieg meinenden Klängen, Geräuschen, Lärmattacken.

Daran knüpft das Kieler Theater Factory des Wiener Ehepaars Gaby Schelle und Christian Nisslmüller an. Eine Produktion bringen sie jährlich heraus. Statt der Urkatastrophe des industriell betriebenen Massenmordens widmen sie sich dem Deutsch-Dänischen Krieg: „1864 Tagebuch einer Katastrophe“.

Auch die bisher aufwendigste dänische TV-Serie ist diesem historischen Trauma gewidmet, zum 150. Jahrestag kam die Königin zur Gedenkfeier. In Norddeutschland aber sei dieser Krieg völlig vergessen, hat Schelle beobachtet. Der junge Otto von Bismarck, Kriegsminister Preußens, war der bis Altona reichende Einfluss des dänischen Königs suspekt. Er überredete Österreich, die Herzogtümer Schleswig, Holstein und Lauenburg endgültig den Skandinaviern zu enteignen. 8.000 Tote später hatten die Großmächte gesiegt. Dänemark ist seither winzig, Deutschland begann, mächtiger Nationalstaat zu werden.

Entscheidend war die Erstürmung der Düppeler Schanzen, auf der Festungsanlage folgte am 18. April 1864 ein bestialisches Gemetzel. Um die Unmöglichkeit zu zeigen, das darzustellen, inszeniert Schelle ein Stück im Stück. Erst mal ein Historienkammerspiel über einen dänischen und preußischen Soldaten, die sich im Niemandsland zwischen den Fronten treffen, austauschen, anfreunden. Andererseits mit ihren Kameraden das Warten, angstgeladene Spannung, Verstörung vor der Schlacht erleben.

Die fünf Mimen spielen nun Theatermacher, die das inszenieren wollen. Stück 2 bietet dabei humorvollen Probebühnen-Realismus. „Michael Frayns ‚Der nackte Wahnsinn‘ ist unser Vorbild“, erklärt Schelle. Und doch wird es ernst, wenn politische Zusammenhänge hinterfragt werden und Diskussionen über die Aktualität des Stoffes aufflammen: Irak, Syrien, Palästina. „In der Ostukraine tobt ein ähnlicher Bruderkrieg wie in unserem Stück.“ Die Factoryaner wirken beispielhaft grenzüberschreitend. Die Uraufführung fand im Rittersaal des Schlosses Sønderborg statt: vis-à-vis dem ehemaligen Schlachtfeld. Derzeit spielen sie im Schleswiger Schloss Gottorf, zu Kriegsbeginn Sitz der dänischen Heeresleitung und am Ende ein Lazarett. Der prunkvoll renovierte Hirschsaal wurde als Aufführungsort von den Künstlern abgelehnt, man zog in den nüchternen Kreuzstall um. Schelle: „Der Raum ist immer unser Bühnenbild.“

Und Purismus ihr Stil. Kein Ausstattungsgetue, kein vordergründiges Bebildern, sondern ablenkungsfreie Konzentration auf den Text und das Spiel der Darsteller. Schelle hat aus Briefen, Tagebüchern von Opfern und ihren Angehörigen sowie historischen Aufzeichnungen, Notizen Hans Christian Andersens und Zitaten aus Tom Buk-Swientys Sachbuch „Schlachtbank Düppel“ einen Text collagiert, der „berührend“ erzählt, gerufen, geschrien werde – wie in der Rezension der dänischen Lokalzeitung Jydske Vestkysten zu lesen ist. Eine Textschlacht also – in deutsch-dänischer Originalfassung mit Übertiteln. JENS FISCHER

■ Sa, 23. 8., Do, 28. 8., Sa, 21. 8., je 19.30 Uhr und So, 31. 8., 12 Uhr, Schloss Gottorf