piwik no script img

Tiere schauen dich an

AUSSTELLUNG Auch eine Menschenkunde – die Schau „Wild“ zeigt das Tier in der zeitgenössischen Fotografie in der Alfred Ehrhardt Stiftung

Die Alfred Ehrhardt Stiftung

■ Die Alfred Ehrhardt Stiftung widmet sich der wissenschaftlichen Erschließung des Werks von Alfred Ehrhardt (1901–1984), als Fotograf und Kulturfilmer ein herausragender Vertreter der Neuen Sachlichkeit. Die Stiftung wurde im November 2002 von Jens Ehrhardt, dem Sohn des Künstlers, ins Leben gerufen, um den künstlerischen Nachlass seines Vaters – Gemälde, Zeichnungen, Grafiken, Fotografien, Filme und Dokumente – zu bewahren und einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Im Januar 2010 zog die Stiftung von Köln nach Berlin – ein Schritt in Richtung mehr Öffentlichkeit.

■ Neben ihrer Archivtätigkeit widmet sich die Stiftung zeitgenössischer Fotografie und Medienkunst. Der Ansatz der Ausstellungstätigkeit ist dialogisch und liegt in der Gegenüberstellung von zeitgenössischen Positionen, die sich ähnlich wie Ehrhardts Werkthemen mit dem Begriff der „Natur“ und den „Konstruktionen des Natürlichen“ auseinandersetzen, dazu gibt es historische Fotografie und Filmkunst von Alfred Ehrhardt. Der Dialog findet auch in Form von Veranstaltungen statt und wird durch begleitende Publikationen abgerundet. (wbg)

VON BRIGITTE WERNEBURG

Ob „Wild“ der richtige Titel ist für die Ausstellung zeitgenössischer Tierfotografie, die gerade in der Alfred Ehrhardt Stiftung zu sehen ist? Vor Kurzem erst ging eine Ausstellung im wunderhübschen und auch wieder wunderschön renovierten Tieranatomischen Theater der Charité zu Ende, die gleichfalls vom Tier handelte und wie wir es für unseren Gebrauch kategorisieren: als domestiziertes Tier oder als Leistungsträger, als Unterhalter und Modell, als Versuchstier und als ausgerottetes Tier, als Nahrungsmittel und als Marke. Diese dazu im Tieranatomischen Theater gezeigten „sechzehn Positionen im künstlerisch-wissenschaftlichen Feld“ scheinen nun auf seltsame Weise den rund 70 Fotoarbeiten in der Auguststraße näher als der Begriff „Wild“. Oder anders gesagt, das Tier, von dem „Wild“ in der von Matthias Harder und Maren Polte konzipierten Schau am profundesten berichtet, ist der Mensch selbst.

Eine seiner Hauptbeschäftigung ist bekanntlich das Herstellen, Betrachten, Kommentieren und Sammeln von Bildern. Der Mensch kennt seine Bilder, und entsprechend bezieht er sich gerne auf sie, so wie Carina Linge mit ihrer „Dame mit Kaninchen“ (2008). Sie zitiert Leonardo da Vincis „Dame mit dem Hermelin“, wobei die böse Überraschung darin liegt, dass bei Linge dem Kaninchen das Fell über die Ohren gezogen wurde und es nun als nacktes Fleisch in den Armen der Dame ruht.

So ein nacktes Kaninchen war kürzlich erst schon in einer anderen Fotoschau zu sehen gewesen, im Martin-Gropius-Bau bei der Wols-Ausstellung. Ende der 1930er Jahre hatte der Künstler das Kaninchen, das er und seine Frau zu Mittag essen wollten, zuvor noch an ein Scheinwerferstativ gehängt und fotografiert. Ein großartiges Bild. Verstörend, verrückt, verwegen, und doch traurig, elegant. Und großartig, verstörend und berührend ist auch Carina Linges Dame mit dem sehr nackten Kaninchen.

Üblicherweise arrangiert der Mensch das Bild der Tiere, die ihm als Nahrung dienen, nicht so nackt und bloß. Vera Mercers „Old wild turkey head“ (2011) entspricht da eher unseren Erwartungen an Schönheit und Tod im Tierstillleben, wie sie ja vor allem durch die flämische und niederländische Malerei geprägt ist. Im riesigen Format schillert die tote Haut und glänzen die prachtvollen Truthahnfedern besonders effektvoll.

Bis das Tier freilich Nahrungsmittel wird, ist es heutzutage erst einmal Leistungsträger – oder wird von uns zu einem solchen gemacht. Wie Ralf Meyer in seiner Serie „Hier wächst Fleisch“ (2004) die Schweinemast zeigt, sieht das für die Tiere in ihren kahlen, technisch-kalten Stallungen nicht schön aus. Wenn die Fotos allerdings für uns fast schon wieder schön ausschauen, mag es daran liegen, dass sie uns in aller Ruhe über die eigene Grausamkeit belehren.

„Extinct“ heißt eine Serie von Marc Volk. Der Dozent an der Berliner Neuen Schule für Fotografie lässt in streng komponierten Schwarz-Weiß-Aufnahmen ausgestopfte Exemplare von ausgerotteten Tieren mit einem großen Auge auf uns blicken: Das Quagga etwa, eine besondere Zebraform in Südafrika. Das letzte Exemplar starb 1883 im Zoo von Amsterdam. Oder der Dodo, ein großer flugunfähiger Vogel auf Mauritius, das letzte Tier soll 1681 von einem spanischen Seefahrer erschlagen worden sein, wie der Bildtitel sagt.

Gesten der Zuneigung

Was strengen wir uns nicht an, die Tiere zu verführen, mit uns zu spielen, und mitzuspielen bei unseren tollen Einfällen?

So recht uns zur Ehre gereichen wollen sie nicht, die Bilder, die wir von den Tieren machen. Dabei lieben und verehren wir sie doch. Nur geschieht das oft auf seltsame Weise. Zuvorkommend hält etwa die Fotografin Alexandra Vogt einem Pferd den Spiegel entgegen, damit es sich darin sehen kann („Untitled“, 2009), einem anderen hat sie freundlicherweise einen blauen BH als Schlafbrille aufgesetzt („Untitled“, 2006). Absurde Gesten der Zuneigung, die die beispiellose Herausforderung zeigen, die Tiere für unsere Fantasie bilden.

Was strengen wir uns nicht an, die Tiere zu verführen, mit uns zu spielen und mitzuspielen bei unseren tollen Einfällen?! Thorsten Brinkmann scheint den Verlust des Quaggas wettmachen zu wollen und hat deshalb „Das seltsame Zebrund“ (2011) geschaffen, einen mit weißen Stoffbändern umwickelten, schwarzen Hund, dessen Kopf er bis auf die Schnauze grün eingetütet hat. Schon als „Ernie III“ (2010) sitzt er duldsam und hinreißend würdevoll auf seinem Podest, trotz des roten Topfes auf seinem Kopf. „Wild“, so möchte man sagen, ist also vor allem unser Betragen gegenüber den anderen Tieren.

Und „wild“ ist auch die Hängung an den Wänden der Alfred Ehrhardt Stiftung, was zu einem guten Teil zum Vergnügen an der Schau beiträgt. Monumentale Formate wie Stefan Weidners „Spinnen“ (2006) stoßen auf nur postkartenkleine Abzüge wie Dieter Hinrichs „Panther“ (1983). Schwarz-Weiß-Fotografien hängen über oder unter leuchtenden Farbabzügen, das fetischisierte Tier stößt auf das schlicht dokumentierte Tier, wie Ursula Böhmers „Kühe in Europa“ (2000) oder Silke Krügers Insektenaufnahmen (2002–2004). Manchmal ergibt das Muster, etwa wenn neben Linges „Dame mit Kaninchen“ Bilder von Amin El Dib hängen, der in seiner Serie „Images of People and Animals“ die Geste, dass ein Mensch ein lebendes Tier im Arm hält, erforscht. Es ist eine Geste, eine ganze Ausstellung wert.

■ „Wild – Tiere in zeitgenössischer Fotografie“: Alfred Ehrhardt Stiftung, Auguststr. 75, bis 14. 9., Di.–So. 11–18 Uhr, Do. 11–21 Uhr. So., den 7. 9., gibt es um 14 Uhr von Jessica Ullrich den Vortrag „Walk on the Wild Side – Begegnungen mit Tieren in der Gegenwartskunst“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen