Agenda 2010
: Nachhaltige Kneipenkur

Die kleine Kneipe

in unserer Straße,

da wo das Leben

noch lebenswert ist. (P.A.)

Also ganz früher, als am Abend noch der Himmel stahlstichig rötlich über Hattingen leuchtete und manchmal durch die Bochumer Innenstadt noch eine Biersuppenfahne zog, da gab es für die Jugend dort einen Treffpunkt, der furchtbar einfallsreich auch noch genauso hieß. Dort traf man seine Unter- oder Oberprimanerkumpels zum mäßigen Biergenuss, dort traf man auch einen blonden langhaarigen Jüngling, der gerade als Bert am Schauspielhaus Karriere machte – natürlich nur, weil er eben Klavier spielen konnte. Wir konnten nur drei Akkorde auf der Gitarre. Unsere musikalische Karriere war also blockiert. Punk gab es noch nicht. Seine Erfindung wäre eine Chance gewesen, doch wir Dummköpfe hatten eben noch Bock. Ohne wären wir sicher reich und berühmt geworden. Das wurde nur Bert, der Klavierspieler, der zwar nur gepresst singen konnte, aber gut genug aussah um irgendwann mal in „Das Boot“ mitspielen zu können. An den „Treffpunkt“ erinnert sich Herr Bert heute noch.

Große Schleife, kleine Retro. Was war an der Kneipe so besonders? Eigentlich nix, immer überfüllt, megalaut, super Stimmung, die Luft zum Schneiden blau. Normal, aber nicht mehr das, was heute von den Polit-Spießern erlaubt wird. Als Bonbon gab es eine holzgezimmerte Bühne, wo spielte, wer mochte oder eben am Wochenende engagiert war. Diese Gras-vernebelte Erinnerung führte zu einer biergetränkten Idee für die Kulturhauptstadt 2010. Könnte man nicht die überall leer stehenden Eckkneipen revitalisieren? Eine holzgezimmerte Bühne rein, die Brauereien an der Ruhr als Sponsoren gewinnen und ein Jahr lang unrenoviert, aber künstlerisch am Leben erhalten. Hier könnten all die regionalen Protagonisten ihre Plattform erhalten, die der Ruhr 2010 zwar die Türen einrennen, aber wohl auf der Strecke bleiben: Musiker, Literaten, Kleinkünstler, Performer, Schauspieler, bildende Künstler, Kabarettisten, Selbstdarsteller, Wahnsinnige, Chaoten, Freaks und Raucher. Eigentlich müsste nur eine halbwegs vernünftige (sorry Freaks und Chaoten) Programmstruktur her, die von den Kulturhauptstadt-Machern halbwegs unterstützt wird, dann könnte vielen geholfen sein. Ein neues Label her. Subkultur-Ruhr zum Beispiel. Dazu ein witziger Wegpunkteplan für Fremd-Besucher am Wochenende und die Ruhrarea of Madness wäre geboren. Und sollte sich herausstellen, dass eine solche Alternative zum (be-)herrschenden Kulturbetrieb tatsächlich Fans findet, könnte es sein, dass die eine oder andere Location nach 2010 am Leben bleibt. Das nennt man dann wohl Nachhaltigkeit.

VON PETER ORTMANN