Süßer Sieg für „Sweet Mickey“

HAITI Der besonders bei jungen Menschen beliebte und politisch völlig unerfahrene Sänger Michel Martelly wird zum neuen Präsidenten gewählt

Fragen nach Freunden bei Todesschwadronen beantwortet Martelly mit Schweigen

VON HANS-ULRICH DILLMANN

BERLIN taz | Der Sänger Michel Martelly hat die Stichwahl um das Präsidentenamt in Haiti gewonnen. Er setzte sich nach Angaben des Provisorischen Wahlrats mit 67,6 Prozent der Stimmen gegen seine Konkurrentin durch. Die frühere First Lady Haitis, Mirlande Manigat, bekam 31,7 Prozent der abgegebenen Stimmen. Das endgültige Ergebnis wird der Wahlrat am 16. April verkünden. Am 14. Mai soll dann „Sweet Micky“, wie der bei Jugendlichen beliebte Kompa-Musiker genannt wird, das höchste Staatsamt im „Land der Berge“ von seinem Amtsvorgänger René Préval übernehmen.

Seinen Wahlsieg verdankt der 50-Jährige vor allem seiner Popularität bei der vorwiegend jugendlichen Bevölkerung, die er seit Jahren nicht nur mit seinen frechen Texten, sondern auch mit seinen „antibürgerlichen“ Attitüden begeistert. Wegen seiner Glatze wird er von seinen Anhängern in Kreolisch „Tèt Kale“, „Glatzkopf“, genannt.

Ob die Wahl von „Sweet Micky“ die politische Instabilität der letzten Jahre beendet, darf bezweifelt werden. Der Karnevalssänger, der sich gern mit bizarren Kostümen schmückt und bei Konzerten die offizielle Politik mit bösem Spott überschüttete, hat keine politische Erfahrung. Und die Probleme im Armenhaus Lateinamerikas sind groß. Seit dem schweren Erdbeben im Januar 2010 sind die Aufräum- und Aufbauarbeiten noch nicht in Gang gekommen. Fast eine Million Menschen leben nach wie vor in provisorischen Lagern ohne Aussicht auf Ersatzwohnungen. Durch eine Cholera-Epidemie sind bisher fast 5.000 Infizierte gestorben.

Martelly, der als Chef der Partei Repons Peyizan (Bürgerreaktion) kandidierte, will angesichts von über 60 Prozent Analphabeten die staatliche Bildung verbessern und mit ausländischen Investitionen im Tourismussektor die Wirtschaft ankurbeln. Achtzig Prozent der Bevölkerung leben mit durchschnittlich weniger als einem Euro pro Tag unter der Armutsgrenze. Martelly hat einen Neuanfang versprochen, weil er noch nicht politisch aktiv gewesen sei und deshalb „saubere Hände“ habe. Das nahm ihm die Mehrheit der 4,7 Millionen Stimmberechtigten ab.

Aber Zweifel an seiner Redlichkeit bleiben bestehen. Fragen nach seiner Freundschaft zu Mitgliedern haitianischer Todesschwadronen, die über Jahrzehnte die Bevölkerung terrorisiert haben, und zum Diktator Jean-Claude Duvalier hat er bisher immer mit Schweigen beantwortet. Im ersten Wahlgang, als Prévals Partei versuchte, die Wahlen zu manipulieren, schickte Martelly seine Anhänger auf die Straße. Schwere Unruhen waren die Folge. Jetzt am Montag haben seine Anhänger nur gefeiert.

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