„Alkohol wird verharmlost“

Zu viele Jugendliche trinken unglaublich exzessiv, sagt Expertin Birgit Mollemeier. Ein Grund dafür sei, dass Alkohol nicht als Droge wahrgenommen werde. Sie fordert mehr Aufklärung in der Schule

BIRGIT MOLLEMEIER, 36, ist stellv. Bereichsleiterin für Tempelhof und Schöneberg beim Drogennotdienst für Suchtmittelgefährdete e. V.

INTERVIEW KATHRIN SCHRECK

taz: Frau Mollemeier, sollten „Flatrate“-Partys, bei denen ohne Limit Alkohol getrunken werden kann, verboten werden?

Birgit Mollemeier: Ja, das sollten sie.

Das ist eine eindeutige Antwort.

Flatrate-Partys bergen immer die Gefahr, dass Jugendliche nicht mehr richtig einschätzen können, wie viel Alkohol sie vertragen. Was dann eben zur Folge hat, dass sie viel zu viel trinken.

Gehört das Ausloten von Grenzen nicht schon immer zum Erwachsenwerden dazu?

Dass Grenzerfahrungen gemacht werden: Ja. Aber die Frage ist, wie gefährlich sie sind. Bei diesen Partys ist die Gefahr riesig.

Dann ist die aktuelle Debatte zu diesem Thema nicht aufgebauscht oder überdramatisiert?

Es ist schon so, dass im Moment einzelne Fälle sehr groß dargestellt werden. Aber ich glaube, dass es insgesamt einen deutlichen Anstieg beim Alkoholkonsum von Jugendlichen gibt. Und auch, dass eine Gefahr besteht durch die Art, wie getrunken wird – dieses unglaublich exzessive Trinken. Außerdem hoffe ich, dass die Berichterstattung die Öffentlichkeit für das Thema sensibilisiert und letztlich mehr Prävention auf diesem Gebiet betrieben wird.

Wie könnte diese Prävention denn aussehen?

Meiner Meinung nach sollten bereits in der Schule vermehrt Kampagnen zum Thema Alkohol gestartet werden – so wie die Nichtraucherkampagnen. Die haben immerhin dazu beigetragen, dass heute bei den 16-Jährigen 10 Prozent weniger rauchen als vor sieben Jahren. Das bedeutet, es sind aktuell noch etwa 20 Prozent, die rauchen. Das finde ich einen Riesenerfolg.

Rauchen ist mit 16 Jahren erlaubt. Harter Alkohol nicht. Es gibt eigentlich Gesetze, die Jugendliche vor dem Missbrauch von Alkohol schützen sollten …

Trotzdem ist es sehr leicht für Jugendliche, an Wodka oder Ähnliches heranzukommen, ob das im Supermarkt ist oder in der Kneipe. Auch hier besteht dringender Handlungsbedarf.

Wird Alkohol von Jugendlichen überhaupt noch als Droge wahrgenommen?

Nein. Alkohol wird absolut verharmlost. Die Haltung der Gesellschaft zu Alkohol spielt dabei eine große Rolle. Überall wird er verkauft und konsumiert. Aber gleichzeitig wird nicht genügend darüber aufgeklärt, dass mit Alkohol verantwortlich umgegangen werden muss.

Sie beraten trotzdem oft junge Menschen, die bereits Probleme mit Alkohol haben und freiwillig zu Ihnen kommen.

Etwa ein Drittel unserer Klientel sind junge Menschen unter 25. Aber sie kommen nicht aus eigener Motivation. Hinter jedem Jugendlichen, der zu uns kommt, steht ein Erwachsener, meistens die Eltern. Auffällig ist, dass die Eltern oft aus der bildungsnahen Mittelschicht kommen. Eltern aus bildungsfernen Schichten haben wohl gar nicht so schnell das Bedürfnis, sich und ihren Kindern Hilfe zu holen.

Sind die so hingezerrten Jugendlichen nicht beratungsresistent – zumal sie sich ihres Problems mit Alkohol gar nicht bewusst sind?

Die meisten Jugendlichen haben erst mal keine Lust auf unsere stundenlange Beratung. Trotzdem wollen viele nach den ersten Sitzungen weitermachen. Sie kapieren dann doch, dass sie an sich arbeiten müssen.