Say it loud: I’m Swiss and I’m proud

Schizophrenie, Humor und der muffige Fatalismus der 70er-Jahre: Die zweiteilige Ausstellung „Swiss Made“ im Kunstmuseum Wolfsburg sucht nach dem „Helvetischen“ gerade in der Kunst und versucht dabei zu belegen, dass die Schweiz existiert – wo doch der Künstler Ben Vaultier genau das bestritt

VON TIM ACKERMANN

So einfach bringt man wackere Eidgenossen ins Wanken: Als der Schweizer Künstler Ben Vautier 1992 bei der Weltausstellung in Sevilla eine große Tafel mit der Aufschrift „La Suisse n’existe pas“ aufhängte, stürzte er seine Landsleute in eine Identitätskrise. Vautiers gemeine Schweiz-Leugnung habe damals einen „Sturm der Entrüstung“ ausgelöst, so die innerhelvetische Kunstskandal-Legende, die zur Zeit in Wolfsburg weitere Verbreitung findet. Dort kann man auch gerade den auslösenden Aphorismus des Fluxuskünstlers bewundern. Er hängt im Foyer des Kunstmuseums.

Die gute Nachricht: Die Schweizer sind sich mittlerweile wieder sicher, dass sie existieren. Sie stellen sogar explizit „Schweizer Kunst“ aus. „Swiss Made“ heißt die Überblicksschau, die 90 Exponate mit Alpenland-Siegel aus den vergangenen 150 Jahren versammelt. Die Ausstellung ist ein echter Cliffhanger: Der erste Teil ist bis Ende Juni zu sehen, der zweite folgt im Juli. In den Räumen sind alte und neue helvetische Künstler zu Dialogsituationen gruppiert, die „thematische Verdichtungen“ erzeugen sollen. Im Grunde ziehen aber die Künstlernamen: „Ach ja, der ist ja auch Schweizer.“

Kein Schelm, wer jetzt an Museumsdirektor Markus Brüderlin denkt, der in Basel geboren wurde. Zudem wird um die Ausstellung ordentlich herumgeschweizt: Die neue Corporate Identity des Museums ist rot-weiß. Und der Titel der Schau klingt nach „Swissness“ – dem Super-Brandname, mit dem sich das Alpenland als trendige Marke positionieren will. Im rätoromanischen Teil der Schweiz spricht man übrigens lieber von „Suissitude“, ein Begriff, der Aimé Césaires „Négritude“-Konzept evoziert, jene kulturelle Selbstbehauptung schwarzafrikanischer „Eingeborener“. Say it loud: I’m Swiss and I’m proud. Ganz passend sucht man in Wolfsburg nach dem „Helvetischen“ in der Kunst, das sich zwischen den „mentalen Leitplanken von Präzision und Wahnsinn“ bewege, so Brüderlin.

Was passiert, wenn man Leitplanken durchbricht, zeigt Arnold Odermatt. Der Dorfpolizist aus dem Kanton Nidwalden hat ein Berufsleben lang Verkehrsunfälle fotografiert. In seiner Serie „Karambolage“ aus den 60er-Jahren gibt es ein Bild, in dem ein VW-Käfer vor romantischer Alpenkulisse in den Vierwaldstättersee gestürzt ist. So pittoresk, so blitzsauber, so humorvoll hat sonst keiner Autounfälle abgelichtet.

Odermatts Fotos hängen in Wolfsburg einem Ölgemälde von Albert Anker aus dem Jahre 1896 gegenüber, das einen Korbflechter in seiner Hütte zeigt. Ankers romantisierender Realismus, der die Idylle der ländlichen Schweiz aufleben lässt, findet seine Antithese in den großformatigen Fotografien von großstädtischen Passanten, mit denen Beat Streuli die Fassade des Kunstmuseums schmückt. Streulis ziemlich multikulturelle Porträtserie offenbart auch die größte Schwäche im Konzept von „Swiss Made“: Der Künstler hat seine Aufnahmen nämlich nicht in Genf, Zürich oder Basel gemacht, sondern 2005 vor seiner Wohnungstür. In Brüssel.

Logisch, dass belgische Migranten nichts über das kontemporäre Leben in der Schweiz und die Produktionsbedingungen der dortigen Künstler erzählen. Ohnehin hätte der ästhetische Dreisprung mit Anker, Odermatt und Streuli durch drei Jahrhunderte wohl kaum ein kohärentes Bild des Alpenlandes hervorgebracht. Die Tatsache, dass der Ausstellungstitel nicht nur „in der Schweiz gemacht“, sondern auch „von Schweizern irgendwo gemacht“ bedeuten kann, schwächt die soziale Aussagekraft der Länderschau.

Übrig bleiben in Wolfsburg also die Suche nach der „Schweizer Künstlerseele“ und eine auf Moll gestimmte Ausstellung, die zwischen Klaustrophobie, Schizophrenie und schwarzem Humor oszilliert. Louis Soutters düster-verzweifelte Fingermalereien. Markus Raetz’ Eisenguss, der je nach Blickwinkel Josef Beuys oder einen Hasen darstellt. Roman Signers Videofilm, in dem er, angetrieben durch zwei Feuerwerksraketen auf einem Drehstuhl, um sich selbst rotiert. Es sind schon einige schöne Künstlerpositionen zusammengetragen worden. Und trotzdem: Die Schweizer Psychotypografie, die in Wolfsburg entworfen wird, ist ein Auslaufmodell der 70er-Jahre. Auch wenn im Katalog immer wieder Paul Nizons berühmte Streitschrift „Diskurs der Enge“ zitiert wird – zu den Grundbedingungen des Schweizer Künstlers gehört heute eben nicht mehr jene Dialektik von Enge und Flucht, und man kann nur darauf hoffen, dass im zweiten Teil der Schau Künstler wie Thomas Hirschhorn Nizons muffigen Fatalismus mit wohl dosierter Anarchie austreiben.

Als etwas zwiespältig erweist sich auch das Dialogkonzept der Schau: Paul Klees Querformat „Gefährliches“ und Silvia Bächlis blaß-zarte Werkgruppe „Ida“ schaffen zwar gemeinsam einen reizvollen Mikrokosmos, geprägt von innerer Zurückgezogenheit und äußerer Bedrohung. An anderer Stelle verkommt dafür Ferdinand Hodlers kraftstrotzender Holzfäller inmitten der Bergpanoramafotografien von Balthasar Burkhard zum klebrigen „Ricola“-Klischee.

Dabei können die Inlands-Schweizer ihre Klischees viel besser selbst produzieren, wie Bundespräsident Adolf Ogi bewies, der bei seiner Millenniumsansprache vor dem Portal des Lötschbergtunnels tapfer die Zukunft beschwor: „La Suisse existe!“, rief er triumphierend in die Kamera. Und hielt sich dabei an einem Tannenbäumchen fest.

Bis 24. Juni. Katalog (in Kürze bei Hatje Cantz) 28 €