DER PROZESS GEGEN SILVIO BERLUSCONI IST IN ITALIEN KEIN THEMA
: Mit Erfolg zum Opfer mutiert

Berlusconi steht vor Gericht – und keinen interessiert es. Gestern jedenfalls war es den großen italienischen Tageszeitungen nicht einmal eine Kurzmeldung wert, dass in Mailand die Hauptverhandlung gegen den TV-Mogul begann, wieder mal wegen eines Bestechungsdelikts. In wohl allen anderen europäischen Demokratien hätte ein Prozess gegen den Oppositionsführer, noch dazu mit ziemlich ehrenrührigen Vorwürfen, ein mittleres politisches Erdbeben ausgelöst; in Italien dagegen berichtet die Presse lieber darüber, dass Ministerpräsident Romano Prodi seinem Gegner gerade ein Dialogangebot zur Wahlreform gemacht hat.

Das ist absurd. Ist es das? Nicht nur Italiens Journalisten, sondern auch seine politischen Gegner und die Bürger sind gewitzt durch die mittlerweile mehr als zehnjährige Prozessgeschichte Berlusconis. Zwölf Verfahren hat er schon hinter sich. Kein einziges führte zu einer Verurteilung, auch wenn die Staatsanwälte handfeste Beweise hatten. Oft genug half Berlusconi die Prozessstrategie seiner Anwälte, die das Verfahren so lange hinzogen, bis endlich die Verjährung griff. Und erst recht konnte Berlusconi sich auf die sichere Seite retten, als er im Jahr 2001 Ministerpräsident geworden war: Er bescherte sich selbst eine Fülle von Gesetzen, geschrieben gleich von seinen Verteidigern, die den Staatsanwälten weitere Verfahrenshindernisse einbrockten und Berlusconi noch kürzere Verjährungsfristen gönnten.

Dass der Mann jemals verurteilt wird, glaubt deshalb niemand in Mailand oder Rom. In einer funktionierenden Demokratie bliebe dennoch der schwere Imageschaden, verlangten Presse und politische Gegner wenigstens seinen Rückzug aus der Politik. Berlusconi dagegen darf sich zur Zeit wieder über ein Hoch in den Meinungsumfragen freuen, und der jetzt eröffnete Prozess wird ihn nicht einmal einen halben Prozentpunkt kosten. Denn Berlusconi hat sich seit Jahren zum politisch Verfolgten stilisiert. Mit durchschlagendem Erfolg: Selbst Berlusconis politische Gegner fürchten, seine Justizprobleme noch anzusprechen – es könnte Berlusconi nützen! MICHAEL BRAUN