„Das ist ein politisches Manöver“

Neue Atomkraftwerke zur Rettung des Klimas wird es in Deutschland nicht geben, prophezeit Klaus Traube. Aber durch die Debatte rücken die erneuerbaren Energien wieder stärker ins Blickfeld, hofft der Ex-Atommanager und heutige Umweltforscher

KLAUS TRAUBE, 79, arbeitete ab 1959 im Management der Atomindustrie und entwickelte den Schnellen Brüter in Kalkar. 1977 enthüllte der Spiegel, dass Traube jahrelang vom Verfassungsschutz wegen Kontakten zu Terroristen abgehört und observiert worden war. Die Vorwürfe erwiesen sich als unhaltbar. Danach wurde Traube Umweltforscher und macht sich seitdem für erneuerbare Energien stark. Er ist seit fast 30 Jahren SPD-Mitglied.

INTERVIEW MIRIAM BUNJES

taz: Herr Traube, steht bald ein neues Atomkraftwerk in NRW?

Nein, sicher nicht. Von neuen Atomkraftwerken spricht auch niemand ernsthaft. Es geht vielmehr darum, ob die bestehenden Atomkraftwerke länger betrieben werden sollen, als der Atomkompromiss es vorsieht.

RWE will Biblis, NRW hat gegen den Willen der Wissenschaftler eine Fortsetzung der Atomforschung in Jülich durchgesetzt. Das sieht doch nach Wiedereinstieg aus.

Bei Biblis geht es ja um die Verlängerung der Laufzeit. Das in Jülich ist ein politisches Manöver. Die CDU hat schon immer für die Atomenergie gefochten – obwohl sie sich in den Koalitionsverhandlungen darauf eingelassen hat, dass das Atomgesetz so bleibt wie es ist.

Wie mächtig ist die Atomlobby an der Seite der Politiker?

Die Betreiber der AKW, die vier großen Stromkonzerne, davon RWE und Eon mit Sitz in NRW, können erreichen, dass immer und immer wieder über die Verlängerung der Laufzeiten für die Atomkraftwerke gesprochen wird – nach dem Prinzip: Steter Tropfen höhlt den Stein.

Wie viel Einfluss haben diese Stromkonzerne konkret auf die Politik?

Traditionell sind sie mit dem Wirtschaftsministerium verbandelt – auch durch Personalaustausch. Der ehemalige Bundeswirtschaftsminister Werner Müller kam von Eon und ist danach zur RAG gegangen, die wiederum teilweise im Besitz von RWE und Eon ist. Sein ehemaliger Staatssekretär Tacke ist nun Chef der RAG-Tochter Steag.

Sie haben ja auch mal dazu gehört.

Nicht zu den Stromkonzernen, aber zur Atomindustrie. In den 1960er Jahren habe ich bei der AEG Siedewasserreaktoren entwickelt und gebaut und danach, bis 1976, war ich bei Siemens verantwortlich für die Entwicklung des Schnellen Brüters und für den Bau des Brüterkraftwerks in Kalkar.

Wie war Ihr Ausstieg?

Mein Ausstieg ist eine komplexe Geschichte. Zunächst hatte ich als Kind meiner Zeit keine Bedenken, es gab ja bis Mitte der 70er Jahre gar keinen öffentlichen Widerstand gegen die Atomenergie. Sie galt unbestritten als der Garant industrieller Zukunft schlechthin. Erstmals zum Nachdenken brachte mich 1973 ein Bericht des Club of Rome zu den Grenzen des Wachstums der Industriegesellschaft, der erstmals das Thema Umwelt umfassend beleuchtete. Hinzu kamen Zweifel am wirtschaftlichen Sinn der Atomkraftwerke, weil ich erlebte, dass sie viel teurer wurden als ursprünglich erwartet und daher weltweit ein allgemeiner Niedergang der Kernkraftaktivitäten einsetzte. Und dann gab es 1976 den Lauschangriff des Verfassungsschutzes auf mich, weil man befürchtete, dass ich Terroristen Zugang zu Atomkraftwerken verschaffen könnte. Das alles hat schließlich dazu geführt, dass ich mich gegen die Atomenergie ausgesprochen habe.

Dann haben Sie Ihren Ausstieg aus der Atomwirtschaft deutschen Spionen zu verdanken?

Sie waren nur das Tüpfelchen auf dem i. Naja, die Angriffe des Verfassungsschutzes waren wirklich nicht lustig. Das sah ja in der Presse zunächst so aus, als ob ich mit Terroristen zusammen arbeiten würde. Aber am Ende hat es mir den Ausstieg in den Schoß gelegt. Auch wenn es mir schwer fiel, weil die Aufgabe doch sehr faszinierend war.

Was war so faszinierend?

Die Kernreaktoren an sich und dann vor allem der Schnelle Brüter. Der war für einen Ingenieur die größte Herausforderung technischer Art, die man sich denken konnte, weil es gleichzeitig technisches Neuland war und mit sehr viel Geld verbunden. Das waren die teuersten Industrieprojekte, die damals überhaupt je gebaut worden waren.

Warum gibt es den Schnellen Brüter in Kalkar nicht mehr?

Weil sich weltweit herausgestellt hat, dass die Schnellen Brüter derartig komplex werden, dass sie betriebstechnisch kaum beherrschbar sind – und damit sehr gefährlich. Außerdem ist diese Komplexität enorm kostentreibend, so dass die Brüter für einen wirtschaftlichen Einsatz zu teuer sind. Es gibt inzwischen in den westlichen Ländern, USA, Japan, Frankreich und England, die damals wie wir Brüterkraftwerke planten und bauten, keinen einzigen Schnellen Brüter mehr.

War das der Anfang einer Energiewende?

Die begann eher mit der Ölkrise 1973, als sich erstmals kritische Energiewissenschafter mit dem fortlaufenden Zuwachs an Energieverbrauch befassten – was dann dazu geführt hat, dass ab Mitte der 70er Jahre die Alternativen – Energieeffizienz und regenerative Energien – „entdeckt“ wurden. Bis 1975 gab es dafür nicht einen Pfennig, während jährlich Milliarden und Milliarden in die Atomenergie gesteckt worden waren. Das Thema Energiewende hat sich dann sehr langsam gegen große Widerstände in Wirtschaft und Politik durchgesetzt.

„Erstmals zum Nachdenken brachte mich 1973 ein Bericht des Club of Rome zu den Grenzen des Wachstums“

Jetzt zeichnet sich so etwas wieder ab: Orkan Kyrill und die neuste Klimastudie der Vereinten Nationen haben eine Riesendebatte über neue Energien ausgelöst.

Ja gut, das ist ein Hype, kein Bruch mit der Diskussion bisher. Immerhin ist jetzt ausgeräumt, dass wir angeblich noch gar nicht wissen, ob der Klimawandel Menschen gemacht ist. Jetzt werden alle angesammelten Erkenntnisse darüber, wie man zu einer Energiewende kommt, wieder stärker in die Öffentlichkeit gebracht: Die beiden Säulen Energieeffizienz und Erneuerbare Energien sind wieder spannend – und das ist auch gut so.

Was für ein Kraftwerk würden Sie bauen, wenn Sie heute ein junger Ingenieur wären?

Wind-, Wasser-, Geothermie- und Biomasse-Kraftwerke. Und so lange wir noch nicht ganz von den fossilen Energieträger wegkommen: Kraftwerke, die mit Kraftwärmekopplung arbeiten. Die KWK ist die höchst effiziente Nutzung der fossilen Energieträger: Die Abwärme wird in Nutzwärme gewandelt – zum Beispiel als Fernwärme, die Häuser heizt.

Also ist öffentlicher Alarmismus ein Anreiz für Ingenieure?

Oh ja.

Fossile Brennstoffe sind mit die schlimmsten Klimakiller. Wie überzeugen Sie Ihre SPD-Genossen von der Notwendigkeit des Ausstiegs aus der Kohleenergie?

Ich kann meine SPD-Genossen nicht vom Ausstieg aus der Kohleenergie überzeugen, weil kein einziger Mensch gegen eine starke Strömung angehen kann. Ich kann lediglich immer wieder darauf hinweisen, dass es Alternativen gibt.