Alarmanlage aus Klingeldraht

Im Berliner Stasigefängnis Hohenschönhausen berichten ehemalige Häftlinge von den Verhörmethoden der DDR-Staatssicherheit. Eine Führung durch das Stasi-Archiv führt die Akribie beim Sammeln von Informationen vor Augen

von CHRISTINE BERGER

Ein Gefängnis von innen zu sehen ist nicht jedermanns Sache. Auch von außen macht das ehemalige Stasigefängnis Hohenschönhausen im Berliner Norden einen unheimlichen Eindruck. Hohe Mauern, Stacheldraht, Wachtürme an allen vier Ecken des Areals, ein trostloser Ort. Hier wurden politische Häftlinge monatelang in Untersuchungshaft verwahrt, ohne zu wissen, wo sie sich befinden, ohne Kontakt zur Außenwelt und häufig komplett isoliert. Fliehen war unmöglich.

Wie das Leben im Stasiknast aussah, davon berichten heute Zeitzeugen. Sie führen Schulklassen, Betriebsausflüge und Einzelbesucher durch das Gebäude, in dem sie ehemals ihre Apokalypse erlebten. Zum Beispiel Matthias Meister. Er wollte 1987 mit seiner damaligen Freundin über die tschechische Grenze in den Westen flüchten und wurde dabei erwischt. Fünf Monate lang musste der damals 21-Jährige in Hohenschönhausen einsitzen. Dann kaufte ihn die Bundesrepublik frei, 1988 war er endlich „drüben“. Mehrmals monatlich besucht Meister nun den Ort des Schreckens, um Neugierigen von den Verhörmethoden der Stasi zu berichten. „Jeder Gefangene hatte seinen eigenen Offizier“, erzählt er in einem der Verhörzimmer mit Resopalschreibtischen, Telefon und einem Bild von Felix Dserschinski, dem russischen Leiter der Tscheka, einer brutalen Sturmtruppe Lenins, an der Wand. Stundenlang gingen die Befragungen, auch nachts. Schlafentzug war in der DDR eine gängige Methode, um Häftlinge zum Sprechen zu bringen.

Blank geputzt führen die schmalen Gänge an den Zellen vorbei. Ein einfacher Klingeldraht über den Türen diente als Alarmanlage. Wollte ein Häftling nicht so, wie die Wärter wollten, zogen sie einfach an dem Draht, und binnen Sekunden rückte Verstärkung an. Einzelhaft im Dunkeln, eine Gummizelle im Keller – der Schrecken der Bestrafung ist den Zeitzeugen auch heute noch anzumerken.

Das Archiv

Keine zehn Kilometer Luftlinie entfernt befindet sich das Leben der Stasiopfer zwischen Akten gepresst. 14.000 Säcke voller Papierschnipsel, 80.000 Regalmeter verstaubte Schnellhefter, 17,5 Millionen Karteikarten. In der ehemaligen Zentrale der DDR-Staatssicherheit in Lichtenberg regiert das Papier noch heute auf beeindruckende Weise. Einst wirkten auf dem gesamten Gelände 26.000 hauptamtliche Mitarbeiter, heute arbeiten noch 2.000 Angestellte bei der Bundesbehörde mit dem umständlichen Namen „Die Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BSTU)“. Davon sind 275 Beschäftigte damit beschäftigt, sich einen Überblick über die überwältigende Datenflut im Lichtenberger Archiv zu verschaffen. In den Karteisälen liegt eine bleierne Stille über den Archivkästen. Allein der Name Müller füllt 15 Meter Karteikarten. Alles DDR-Bürger, die im Visier der Stasi standen.

Zwischen den routierenden Kästen eilen Mitarbeiter hin und her auf der Suche nach einem Namen, der wiederum zu einer Akte führen könnte. Anträge auf Akteneinsicht stellten allein im letzten Jahr 97.000 Bürger. Die Anträge können u. a. im Anschluss an eine Archivführung gestellt werden.

Stasi-Archiv: Ruschestr. 103, Haus 7, Berlin-Lichtenberg, Tel. (0 30) 23 24 66 99, E-Mail: archivfuehrungen@bstu.bund.de , Führungen jeweils am 1. Di. im Monat 17–19 Uhr, Eintritt frei

Stasigefängnis: Genslerstr. 66, Berlin-Hohenschönhausen, Tel. (0 30) 98 60 82 30, www.stiftung-hsh.de , öffentl. Rundgänge Mo. bis Fr. 11 u. 13 Uhr, Di./Do. auch 15 Uhr. Sa./So. stündl. zw. 10 u. 16 Uhr Eintritt: 3 €, erm. 1,50 €, Schüler frei, Mo. Eintritt frei