Das Motto: „Cherchez la femme“

EU-GIPFEL Die EU-Chefs müssen bei einem Sondergipfel in Brüssel sehr wichtige Personalentscheidungen treffen. Dabei spielen Frauen eine zentrale Rolle

AUS BRÜSSEL ERIC BONSE

Werden sie es diesmal schaffen? Oder werden sie sich wieder in kleinlichem Proporzdenken verheddern und von der Eskalation in der Ukraine aus dem Takt bringen lassen? Kurz vor dem Sondergipfel der Europäischen Union (EU) am Samstag in Brüssel rätseln selbst Insider, was dieses Treffen bringen wird.

Klar ist nur, dass Kanzlerin Angela Merkel und die anderen EU-Chefs nachsitzen müssen. Bei ihrem letzten Sondergipfel im Juli waren sie mit dem Personalpaket gescheitert. Damals stand Osteuropa gegen Italien, Deutschland gegen Frankreich und links gegen rechts. Geplant war, Nachfolger für den scheidenden EU-Ratspräsidenten Herman Van Rompuy und die Außenbeauftragte Catherine Ashton zu finden. Diesmal ist die Aufgabe noch komplizierter. Denn jetzt geht es auch um die nächste EU-Kommission und ihre 27 Kommissare.

Der nach langem Gezerre gewählte neue Kommissionschef Jean-Claude Juncker hat zwar von allen 28 EU-Ländern Kandidaten genannt bekommen. Doch es sind nicht genug Frauen dabei. Mindestens zehn sollen es sein, eine mehr als in der alten EU-Behörde. Bisher wird diese Quote, die das Europaparlament zur Bedingung für die Wahl der neuen Kommission gemacht hat, nicht erreicht.

Nur vier Frauen wurden nominiert – viel zu wenig, wie der Chef der SPD-Gruppe im Europaparlament, Udo Bullmann, kritisiert. „Es geht um die Verantwortung in Europa, da darf es keine hasenfüßigen Rückschritte in vergangene Jahrhunderte geben“, warnt er. Auch Grüne und Linke fordern mehr Frauen und drohen mit Ablehnung.

„Cherchez la femme“ lautet daher das neue Motto in Brüssel. Pessimisten unken schon, der Streit um die Frauenquote könne den Start der neuen EU-Kommission – geplant ist der 1. November – verzögern. Doch es gibt nicht nur die Frauenfrage. Es geht auch darum, dass Sozialisten und Konservative, große und kleine Länder sowie Ost- und Westeuropäer „versorgt“ werden.

Beim letzten Mal war das nicht gelungen – auch wegen des Streits um Russland und die Ukraine. Italien hatte seine Außenministerin Federica Mogherini nominiert. Doch die Osteuropäer mauerten – die 41-Jährige sei zu unerfahren und zu Russland-freundlich. Inzwischen haben sie ihren Widerstand angeblich aufgegeben. „Es gibt keinen Zweifel mehr an ihrer Ernennung“, sagte ein EU-Diplomat.

Der Grund für den Sinneswandel ist nicht nur massiver Druck des italienischen Ministerpräsidenten Matteo Renzi. Er hält derzeit den EU-Ratsvorsitz und braucht Erfolge. Offenbar gibt es auch wieder einen der berühmt-berüchtigten Brüsseler Hinterzimmerdeals. Als „Gegenleistung“ für das Ja zu Mogherini soll nämlich ein Osteuropäer den wichtigen Chefposten im Rat übernehmen.

Im Gespräch sind der polnische Premierminister Donald Tusk und der frühere lettische Ministerpräsident Valdis Dombrovskis. Es könnte allerdings auch die dänische Regierungschefin Helle Thorning-Schmidt werden – sie wird von Berlin und London protegiert und hat den großen Vorteil, eine Frau zu sein. „Cherchez la femme“ eben.

Allerdings könnte die Eskalation in der Ukraine den Gipfel durcheinanderwirbeln und neuen Schwung in das Personenkarussell bringen. Zudem gibt es noch neue Vorstöße aus Berlin und Paris: Kanzlerin Merkel möchte den spanischen Wirtschaftsminister Luis de Guindos zum neuen Eurogruppenchef machen. Und Präsident François Hollande fordert wegen der angespannten Wirtschaftslage einen Sonder-Euro-Gipfel. Eine Einigung zeichnet sich nicht ab.