berliner szenen Musik ignorieren

Disco-Bowling

Samstagabend im Bowlingcenter in der Samariterstraße. Die Bowlingschuhe waren sehr schön, und die Kugeln hatten unterschiedliche Farben und Gewichte. Außer uns vergnügten sich noch etwa 120 Menschen an 14 Bahnen, die von Lichtblitzen beleuchtet wurden. Vielleicht waren wir in ein Disco- oder Cosmic-Bowling hineingeraten – der Lärm war jedenfalls unglaublich.

Weil unter jedem Musikstück der gleiche bösartige Fuckerbumstechnobeat lag, war es völlig egal, ob nun gerade „Über den Wolken“, „Crazy“ oder das „Lied vom Pimmelmann“ lief. In seinem Bemühen, der Musik keine Beachtung zu schenken, war man auf das existenzielle Nichts, das man ist und zu sein hat, zurückgeworfen. Die Anstrengung des Musikignorierens ließ sich nur vieltrinkend bewältigen. Weil man so ständig mit Fachfremdem beschäftigt war und sich überdies in seiner Nichtdazugehörigkeit beobachtet fühlte, geschahen viele Patzer.

Auf Fernsehern über den Bahnen wurden die Ergebnisse mit lustigen Animationen bekannt gegeben. Neben uns bowlte eine Gruppe mit kräftigen Männern, die T-Shirts trugen, auf denen stand, sie seien „not holy“. S. mutmaßte, es handle sich um Nazis. Sie meinte, die Musik hier sei deutscher Mainstream. Ich hielt das für eine paranoide Projektion, fand es unhöflich, derlei zu denken, und freute mich, als plötzlich „Fitze, Fatze“ von Helge Schneider ohne Bums auftauchte. Dann rief ein künstlich aufgeregter Einpeitscher, da oder dort sei nun eine Sektflasche, diese Sektflasche wäre toll, und jeder solle sich nun anstrengen, um sie zu gewinnen. Später verabschiedete er sich mit einem launigen „Ich verabscheue mich“. Zu Hause guckte ich mir die urstkrassen Lyrics vom „Pimmelmann“ im Internet an. DETLEF KUHLBRODT