Die Kamera ist ruhelos

KINO Einmalige Aufführung des stilbildenden Revolutionsfilms „Soy Cuba“ im Kino Krokodil

Coppola und Scorsese promoten den wiedergefundenen Film „Soy Cuba“

Was heißt es, eine Revolution zu verfilmen? Wenn man die Sache mit der Umdrehung alles Bestehenden ernst nimmt, muss auch der Standpunkt der Aufnahme seine Gewissheit verlieren. In diesem Sinne ist „Soy Cuba“ von Michail Kalatosow der Revolutionsfilm überhaupt: Die Kamera von Sergej Urusewski und Alexander Calzatti scheint nie zur Ruhe zu kommen. Sie begegnet den Menschen nicht „auf Augenhöhe“, wie die um Gleichberechtigung ringende Stanze unserer Tage heißt, sie nimmt sie in kontrastreichen Schwarzweißbildern immer nur aus Froschperspektiven in den Blick.

Und sie schwebt die ganze Zeit durch die Vertikalen und Horizontalen von Havanna. Was um so erstaunlicher ist, weil Kalatosow, der für „Wenn die Kraniche ziehen“ (der ebenfalls noch einmal im Kino Krokodil gezeigt wird) bekannt geworden ist, „Soy Cuba“ (Ich bin Kuba) schon 1964 fertiggestellt hat. Die verzögerte Rezeptionsgeschichte spricht ebenfalls für die Modernität des Films. Da die Beziehungen zwischen Kuba und der Sowjetunion am Ende der Filmproduktion weit weniger beglückend waren als am triumphalen Beginn der Arbeit, verschwand „Soy Cuba“ kaum wahrgenommen im Archiv.

Anfang der neunziger Jahre wird Kalatosows Film dann in einer kubanischen Filmschule wiederentdeckt und findet über den Umweg durch Amerika zu finaler Anerkennung: Francis Ford Coppola und Martin Scorsese promoten „Soy Cuba“, der 1993 auf dem Festival von Telluride erstmals wieder gezeigt wird. Mittlerweile gibt es eine eigene Dokumentation, die die Geschichte des Films erzählt („Soy Cuba – das sibirische Mammut“ von Vicente Ferraz aus dem Jahr 2005).

Kalatosows Film besteht aus vier Teilen, die durch schlafwandlerisch-lyrische Bewegungen miteinander verbunden sind. Der Weg führt vom dekadent-verführerischen Highlife in Havanna in die Urwälder der Revolution, was den Überschuss an Stilbewusstsein erklärt: „Soy Cuba“ feiert das süß scheinende Leben auf den Dächern und in den Clubs, aber der Film führt aus dem Luxus der wenigen hinaus in das Land zu den Schattenseiten der Reichtumsproduktion.

Es ist eine Ironie der Geschichte, dass der hochgefahrene sozialistische Ästhetizismus von Kalatosow Eindruck auf die kapitalistische Bildproduktion gemacht hat – die Poolszenen zu Beginn erscheinen wie Vorbilder, nach denen Martin Scorsese die Welt seines „Wolf of Wall Street“ gezeichnet hat. Zu den verwinkelten Wegen von Filmgeschichte und Archivpolitik gehört übrigens auch, dass das Kino Krokodil die letzte vorführbare 35-mm-Kopie von „Soy Cuba“ zeigt; sie ist seit 2004 im Einsatz und hat deutsche und französische Untertitel (es handelt sich um einen Schweizer Verleih).

MATTHIAS DELL

■ Heute im Kino Krokodil, 20 Uhr