Bunga Bunga abstrakt

KOMISCHE OPER Thilo Reinhardt inszeniert Richard Strauss’ Einakter „Salome“ und flüchtet dabei ins Popgewerbe. Der politischen Aktualität des Stücks geht er lieber aus dem Weg, dafür spielt das Orchester ganz wunderbar

Das ist Strauss pur, der bayerische Punk in diesem Mann

VON NIKLAUS HABLÜTZEL

Hinten hingekritzelt die Fassade eines (womöglich) antiken Palastes, davor eine schräge Fläche überzogen mit schwarzen Kriegszeichen, Soldaten stehen darauf herum. Könnte sein (wegen der Nachrichtenlage), dass uns die Komische Oper in die Umgebung von Tripolis schicken möchte. Die Nato macht gerade Pause, darum kommt ein ziemlich nuttig angezogenes Mädchen aus dem Portal des Palasts und schickt sich an, ein Sonnenbad zu nehmen.

Das Orchester setzt ein, mit einer kleinen schnellen Tonleiter der Klarinetten und Flöten und rauscht dann los in die Orgie der Salome, die Richard Strauss angerichtet hat, so hemmungslos um jeden Sinnenkitzel ringend, wie er sich das später nicht mehr getraut hat, als ihn Hugo von Hofmannsthal in die gesitteteren Bahnen psychoanalytischer Sitzungen geleitet hat. Er selbst hatte davon allerdings nie viel verstanden, und bei Salome kann man hören, warum. Es ging ihm immer nur um den Reiz des Klanges, um das virtuose Zusammenspiel von Instrumenten und Stimmen, die sich mal zu dissonanten Türmen ballen, dann wieder flimmernd zerfließen, um zu neuen harmonischen Gewürzen auszuufern.

Irgendeine gute Fee muss das Orchester der Komischen Oper wachgeküsst haben, denn es spielt diese schwierige Partitur unter der Leitung des Russen Alexander Vedernikov so perfekt und leidenschaftlich zugleich, dass keine Wünsche mehr offen bleiben. Das ist Strauss pur, der bayerische Punk in diesem Mann, der sich später so arg korrumpieren ließ von den Nazis und so viel pompösen Kitsch hinterlassen hat.

Ohne tieferen Sinn

Bis heute liebenswert an diesem wilden Stück Musik aus dem Jahr 1905 ist vor allem, dass es nicht versucht, irgendeinen tieferen Sinn zu verkünden. Strauss hat sich das Libretto nach einer deutschen Übersetzung des gleichnamigen Theaterstücks von Oscar Wilde selbst geschrieben. Bunga-Bunga-Partys sind ja gewiss keine Erfindung von Silvio Berlusconi, das Neue Testament berichtet beiläufig vom gewaltsamen Tod Johannes des Täufers, der als Belohnung für einen Tanz von Herodes’ Stieftochter enthauptet worden sei. Wüste Sitten also schon immer unter den Herrscherclans am Mittelmeer, kühl und ohne moralische Belehrung machte Wilde daraus ein kleines, elegantes Stück für den Boulevard, nicht ganz so elegant, aber ebenso moralfrei ging Strauss zu Werke – und beide hatten den Skandal, den sie wollten. „Obszön und pervers“ lautete das Urteil der Zeitgenossen.

Obszön und pervers ist diese Klatschgeschichte noch heute, nur hatte Thilo Reinhardt nicht den Mut, sie so aktuell zu nehmen, wie sie ist. Er meint im Programmheft, die so verblüffend naheliegende politische Aktualität würde „das Stück verkürzen“. Warum das so sei, sagt er nicht, und auf der Bühne zu sehen ist nun eine ziemlich anstrengende, popartistische Bildungshuberei. Im „Tanz der sieben Schleier“, der berühmten Stripnummer, dreht sich bei Reinhardt nur die Bühne, um uns immer neue Ikonen des Kinos der bildenden Kunst der letzten Jahrzehnte zu zeigen, die irgendwie Skandal gemacht haben – Jesus mit Riesenpenis, Juden, die sich selber kreuzen, fickende Mädchen mit Maschinengewehren und dergleichen, was man alles schon wieder vergessen hat, und nun mühsam wieder zusammenklauben muss.

Salome, Johannes und Herodes helfen auch nicht weiter, weil Reinhardt auf seiner Flucht in die Abstraktion des Popgewerbes völlig vergessen hat, diesen Figuren klare, verständliche Umrisse zu geben. Herodes sieht nun doch ein wenig aus wie Berlusconi, obschon ständig Generäle in Uniform um ihn herumstehen, von denen man nicht weiß, ob sie ihm gehorchen oder ob sie ihn gefangen halten. Johannes der Täufer ist irgendwie zwischen Jesus und Bin Laden steckengeblieben, und am schlimmsten hat es die gute Salome erwischt, mit der die aus der Oper Düsseldorf ausgeliehene, in den Mittellagen arg tremolierende Morenike Fadayomi ihre liebe Mühe hat: Die nuttige Puppe, die ein Sonnenbad nehmen will, verwandelt sich ohne erkennbaren Grund in eine übermäßig libidinös fixierte Terroristin und endet dann doch nur als dummes kleines Mädchen, das sein Lieblingsspielzeug kaputt gemacht hat.

„Was tut’s“ sind ihre letzten Worte, die Strauss in seidenglänzenden Wohlklang kleidet. „Was tut’s“, kann man auch dazu sagen, es ist nicht schlimm, dem wunderbaren Orchester sei Dank, aber eben auch nicht wirklich gut.

■ Weitere Termine: 15., 23., 29. 4