christoph preuß
: Der Fallrückzieher

Der ältere Mann in der Frankfurter Stadtbahn genoss die Aufmerksamkeit sichtlich, als sich die Hälse auf dem Weg zum Stadion nach seinem historischen Dokument reckten; ein vergilbtes Stadionheft aus dem Jahre 1959 vom damaligen Spiel der Eintracht gegen den FC Bayern hatte er dabei. 1975 überfuhr die Eintracht die Bayern mit 6:0, 1989 traf Klaus Augenthaler von der Mittellinie, und 1999 musste Michael Tarnat in den Kasten. Das Stadionheft vom Samstag dürfte nun ebenfalls eine überdimensionale Wertsteigerung erfahren – Christoph Preuß hat es mit seinem „Jahrhunderttor“ nun in den ewigen Eintracht-Olymp geschafft. „Traumhaft“, sagte er, „traumhaft, gegen den FC Bayern im ausverkauften Stadion so ein Siegtor zu machen, da träumt man schon als Kind davon.“ Die Einladung ins ZDF-„Sportstudio“ folgte prompt.

Gegen die Bayern hatte Eintracht-Trainer Friedhelm Funkel den 25-Jährigen ins Mittelfeld gesteckt. Der Defensiv-Allrounder spielte in Funkels Strategie so etwas wie den Abfangjäger vor der Abwehrkette. „Ich fühle mich im Mittelfeld wohler“, sagt er, „dort habe ich Auslauf und kann auch nach vorne gehen.“ Nach 78 Minuten stand er schließlich tatsächlich ganz vorne, allerdings mit dem Rücken zum Tor. Mit einem blitzsauberen Fallrückzieher genau in den Torwinkel ließ er Keeper Oliver Kahn keine Abwehrchance.

Die Bayern-Stars grummelten hinterher, dass die Eintracht mit einer Chance das Spiel gewonnen hätte und dieser Preuß den Ball in seiner verbleibenden Restlebenszeit wohl kaum noch einmal so treffen würde. Dem Eintracht-Eigengewächs aus Gießen kann das aber egal sein. „Seine Vielseitigkeit“ streicht sein Coach stets als seine vortrefflichste Eigenschaft heraus. Wobei Funkel bis dato nicht unbedingt dessen Torgefährlichkeit und Akrobatik in Tornähe gemeint hat. Ohnehin ist der stille Blondschopf erst gerade wieder in Tritt gekommen. Als Jugendnationalspieler wurde ihm auf der Sechserposition durchaus eine Karriere in der DFB-Auswahl zugetraut, doch dann durchkreuzten Verletzungen immer wieder seinen internationalen Durchbruch.

Über die Stationen Leverkusen und Bochum landete er schließlich 2005 wieder in Frankfurt, als „Saupreuß“ sozusagen, der die Bayern-Titelträume platzen ließ.

KLAUS TEICHMANN