Integration als Zirkuskunststück

Die Bürgerstiftungen in Braunschweig und Ratzeburg wollen Kinder mit Migrationshintergrund integrieren. Heute erhalten sie von Bundespräsident Horst Köhler einen Preis für ihr Engagement

VON KARIN CHRISTMANN

Über Integration wird viel geredet, von Politikern zum Beispiel. Auch Bundespräsident Horst Köhler wird heute eine dieser Reden halten, wenn er den „Förderpreis Aktive Bürgerschaft 2007“ verleiht. Diesmal gibt es allerdings einen ungewöhnlich konkreten Hintergrund: Der Preis geht nämlich an Bürgerstiftungen, die versuchen, die Versäumnisse der Politik vor Ort wett zu machen. Der erste Preis geht nach Berlin, den zweiten Preis teilen sich in diesem Jahr zwei Bürgerstiftungen aus dem Norden: Braunschweig und das schleswig-holsteinische Ratzeburg erhalten je 5.000 Euro Preisgeld für ihre Integrationsprojekte. Der Schwerpunkt des diesjährigen Wettbewerbs war die Integration von Zuwanderern. In Braunschweig haben Kinder aus Einwandererfamilien eine Zirkusvorstellung erarbeitet und in Ratzeburg wird es im Sommer eine gemeinsame interkulturelle Projektwoche aller örtlichen Schulen geben.

Die Braunschweiger Bürgerstiftung hat zusammengebracht, was sich gut ergänzt: Kinder mit Migrationshintergrund und besonderem Förderbedarf einerseits und Lehramtsstudenten der Universität, die frühe Praxiserfahrung machen wollen, andererseits. Über mehrere Monate entwickelten die angehenden Lehrer und andere Freiwillige mit den Kindern eine Zirkusvorstellung. Die Kinder traten als Clowns auf und sprangen als „Löwen“ durch brennende Reifen. Die Schulen seien begeistert davon gewesen, wie viel offener und kommunikativer ihre Schüler danach waren, berichtet Eckhart Neander, ein Mitglied des Stiftungsvorstandes. Bald beginnt der zweite Durchgang mit einer gemeinsamen Reise durch die Heimatländer der Kinder. Sie sollen ihren Mitschülern Sprache und Gebräuche, Lieder, Tänze und Essen aus ihren Heimatländern vorstellen.

Ein weiteres Projekt der Stiftung ist die Leseförderung: In 15 Braunschweiger Schulen wurden Büchereien finanziert – nicht mit Lehrbüchern, sondern mit dem, was Kinder – hoffentlich – in ihrer Freizeit lesen. Insgesamt 50 ehrenamtliche Lesepaten kommen außerdem in die Schulen. Auch der pensionierte Agrarökonom Neander liest jede Woche mit Schulkindern. Er freut sich über die „sichtbaren Erfolge“ und ist sich sicher, dass auch die Kinder mit ihren Lesepaten viel Spaß haben.

Die Ratzeburger Bürgerstiftung erhält den Preis für einen Jugendwettbewerb zum Thema Integration, den sie im vergangenen Jahr ausgeschrieben hat. Drei Schülerinnen des Ratzeburger Gymnasiums gewannen mit ihrer Idee einer schulübergreifenden Projektwoche. Alle Ratzeburger Schulen wollten mitmachen, und daher werden die Pläne im Juli in die Tat umgesetzt. Eine interkulturelle Projektwoche soll es werden, mit einem Stadtschulfest als Abschluss. Die Ratzeburger freuen sich besonders darüber, dass sie als kleine Stiftung mit dem Preis bedacht wurden. Nur 14.000 Einwohner hat Ratzeburg. Die großen Stiftungen wie in Braunschweig könnten ganz anders arbeiten, sagt Geschäftsführerin Marion Bublitz.

Das Konzept der Bürgerstiftung gibt es in Deutschland noch nicht lange, erst 145 dieser Stiftungen existieren. Sie sind Gemeinschaften von engagierten Bürgern einer Stadt, die ihr Stiftungskapital langfristig gemeinsam aufbauen und mit den Kapitalerträgen gemeinnützige Anliegen in ihrer Region fördern. Die Braunschweiger verwalten mittlerweile mehr als drei Millionen Euro, in Ratzeburg sind es rund 265.000 Euro. Die Bürger können sich aber auch mit Zeit und Ideen einbringen: Knapp 15 Ratzeburger stecken ihre freie Zeit in die Stiftungsarbeit, in Braunschweig gibt es 20 Ehrenamtliche. Beide Stiftungen möchten die Versäumnisse der Politik ein Stück weit ausgleichen, denn – so ist aus beiden Städten zu hören – für Jugendarbeit sei zu wenig öffentliches Geld da.