Wasserkraft versus Balkanluchs

NATURSCHUTZ Im mazedonischen Mavrovo-Nationalpark sollen Staudämme gebaut werden. Besucher, die sich die Projekte angucken wollen, sind unerwünscht

■ Grüne Zukunftspläne: Lukovo Pole und Boskov Most sind nicht die einzigen geplanten Hydropower-Anlagen in Mazedonien. Insgesamt will die Regierung 406 Dämme bauen. Sie sind Teil der nationalen Energiestrategie und sollen die Stromversorgung des Landes absichern.

■ Fossiler Status quo: Derzeit stammt etwa ein Drittel des mazedonischen Stroms aus dem Ausland, drei Viertel der im Inland produzierten Energie liefern fossile Kraftwerke, allen voran das Braunkohlekraftwerk Bitola. Der Energiebedarf steigt, auch weil das Stromnetz marode ist und so viel Energie verloren geht.

■ Gefährdete Natur: Für die Flüsse auf der Balkanhalbinsel, die zu den ökologisch wertvollsten Gewässern Europas gehören, sind die Wasserkraftpläne lebensbedrohlich: Die Karte auf www.euronatur.org/Karte.1651.0.html zeigt, dass über 570 Dämme die auf unserem Kontinent einzigartigen Naturlandschaften zu zerstören drohen. (bw, rr)

AUS JANCE UND SKOPJE BEATE WILLMS

Ein geschmeidiges Kraftpaket mit grünen Augen, steil aufgestellten Pinselohren und gewaltigen Pfoten – die einzigen bewegten Bilder eines Balkanluchses überhaupt stammen von einem Arte-Filmteam. Vor vier Jahren bekam es mithilfe des Biologen Giorgi Ivanov neben Wölfen, Bären, Fischottern und Adlern eine der letzten der scheuen Großkatzen vor die Kamera.

Nur hier, im Mavrovo-Nationalpark im Nordwesten Mazedoniens, einem Teilstück des einstigen Eisernen Vorhangs zwischen Albanien auf der einen und dem damalige Jugoslawien auf der anderen Seite, hat eine kleine Gruppe der Tiere überlebt. Es sind vielleicht 20 Exemplare, schätzt die Weltnaturschutzorganistion IUCN in einer Studie vom Januar. Zu sehen sind sie normalerweise nicht, nur ab und zu finden sich im einzigen Buchenurwald Europas oder auf den alpinen Feuchtwiesen weiter oben auf den Bergen Reste ihrer Jagdbeute – ein zerstückeltes Reh, Beine einer gerissenen Gämse.

So viel wilde Natur empfängt einen nirgends sonst auf dem Kontinent. Neben den großen Fleischfressern auch ungezähmte Flüsse, die sich in breiten Kiesbetten durch intakte Auenwälder schlängeln, hier eine Stromschnelle, dort ein brausender Wasserfall, kristallklare Bäche, in denen es von Fischen nur so wimmelt. Und ein unglaublicher Reichtum an Spezies. Beinahe jede zweite gefährdete Fischart ist nur noch auf dem Balkan heimisch, ebenso wie etliche Süßwassermuscheln und Wasserschnecken.

Doch mit diesem prallen Ökosystem könnte es bald vorbei sein. Denn der staatliche mazedonische Energiekonzern Elem will im Park zwei Staudämme errichten – Lukovo Pole und Boskov Most. Das Geld soll von der Weltbank und der Europäischen Entwicklungsbank EBRD kommen. „Das führt den Nationalpark ad absurdum“, sagt Ivanov, der auch Mitglied der Mazedonischen Ökologischen Gesellschaft ist.

Die MES gehört zu den sechs regionalen regierungsunabhängigen Organisationen (NGOs), die sich gegen die Staudamm-Pläne wehren. Kampagnenmäßig werden sie unterstützt von der deutschen Stiftung Euronatur und dem österreichischen Verband Riverwatch, die die internationale Öffentlichkeit mit ins Boot holen wollen.

„Mit europäischem Naturschutzrecht ist nicht zu vereinbaren“, was hier passiert, sagt Ulrich Eichelmann von Riverwatch. Aber Mazedonien ist noch nicht in der EU, die Beitrittsverhandlungen liegen auf Eis – das ist auch das einzige Argument, das im Umweltministerium in der mazedonischen Hauptstadt Skopje dazu zu hören ist.

Der hochoffizielle Termin im Gebäude des ehemaligen Staatsfernsehens verläuft ansonsten ausgesprochen informell – und kurz. Nach nicht einmal fünf Minuten beendet ihn der als „Direktor des Bereichs Naturschutz“ vorgestellte Hausherr schroff. „Dieses Gespräch hat nicht stattgefunden.“ Fotografiert werden will er nicht, und seinen Namen buchstabiert er auch auf höfliches Nachfragen nicht. „Wozu? Sie waren nicht da.“

Dabei hatte es nur um die beiden Wasserkraftprojekte gehen sollen: Wie der aktuelle Stand sei? Ob man sich im Ministerium erklären könne, weshalb der Nationalparkdirektor keinen Besuch am geplanten Standort des einen in der besonders geschützten Kernzone genehmige? Wie die Verantwortlichkeiten für erneuerbare Energien und Naturschutz innerhalb der Regierung verteilt seien? Die Antwort: Dazu könne man nichts sagen. Und überhaupt: Warum man sich ausgerechnet für Mavrovo interessiere? „Wir haben doch so schöne Orte in Mazedonien.“

Draußen in einer Pizzeria klingelt kurz darauf das Smartphone von Aleksandra Bujarovska. Sie ist Expertin für Umweltrecht und arbeitet für Front 21/42, eine 2005 gegründete nationale Umwelt-NGO, die auf politischer und juristischer Ebene gegen die Staudammpläne kämpft. Der Anruf kommt aus dem Ministerium. Wenn irgendetwas über den Besuch veröffentlicht werde, gebe es Ärger. Bujarovska lacht auf: „Die haben jetzt Stress. Die internationale Einmischung gefällt ihnen nicht.“

Die EBRD begründet ihre Absicht, Boskov Most zu finanzieren, auf Anfrage folgendermaßen: „Eins unserer Ziele in Mazedonien ist es, die Energieversorgung und -sicherheit zu verbessern und gleichzeitig erneuerbare Energien zu promoten.“ Die Gegner der Projekte glauben dagegen, dass die nationalistisch-konservative Koalition, die sich seit acht Jahren in Mazedonien an der Regierung hält, tatsächlich von viel profaneren Motiven getrieben wird.

23 Jahre nach dem Ende Jugoslawiens steckt das Land noch immer im Transformationsprozess. Die Wirtschaft kommt nicht recht voran, die Politik ist intransparent, viele in der Bevölkerung sind fest davon überzeugt, dass die Eliten sich gegenseitig Aufträge und Posten zuschachern. Immerhin leistet sich Skopje für das 2-Millionen-Einwohner-Land ein 21-köpfiges Kabinett, obwohl es nicht einmal genug Ressorts für alle Minister gibt. Die wiederum brauchen etwas zum Vorzeigen: „Staudämme eignen sich gut, um sich davor fotografieren zu lassen“, sagt Juristin Bujarowska.

Zur Energieversorgung werden die beiden Projekte allerdings nicht besonders viel beitragen. Lukovo Pole soll eine Kapazität von 6 Megawatt haben, das entspricht gerade mal der von zwei bis drei großen Windrädern. Dafür setzt die Regierung den Nationalparkstatus aufs Spiel, wie die IUCN in Genf schon klargemacht hat. Denn das Kraftwerk soll in der sogenannten Kernzone entstehen, in der menschliche Eingriffe weitestgehend verboten sind.

Und der Eingriff wäre nicht zu übersehen: Die Staumauer soll halb so hoch werden wie der Kölner Dom und so breit wie fünf Fußballfelder. Für den See soll nicht nur der Fluss Radika aufgestaut werden, ein Kanalsystem soll auch alle kleineren Bäche einfangen, die im Einzugsgebiet der Korab-Gebirgskette westlich des Flusses fließen. „Das zerstört die Lebensadern des Nationalparks“, sagt Eichelmann. Einem weiten Gebiet würde komplett das Wasser entzogen. „Die Folgen sind kaum absehbar, auf jeden Fall aber gravierend.“

Anschauen kann man sich den geplanten Standort nicht. Der Direktor des Nationalparks verweigert die Genehmigung für die Fahrt in das Hochtal, das dem besonderen Schutzstatus unterliegt. Die Begründung ist ähnlich wenig souverän wie der Auftritt im Umweltministerium: Am Vortag sei schon ein Journalist oben gewesen und habe anschließend etwas veröffentlicht. Was das heißen soll? Für konkrete Infos und persönliche Nachfragen steht der Direktor nicht zur Verfügung.

Etwas anders ist die Situation weiter südlich, wo das Kraftwerk Boskov Most entstehen soll. Es liegt außerhalb der Kernzone im Randbereich des Parks, wo durchaus gewirtschaftet werden darf – wenn auch nur mit jeder Menge Auflagen. Dafür ist es mit einer Kapazität von 68 Megawatt auch deutlich größer – im Vergleich zum Kohlekraftwerk Bitola, das es auf fast 1.700 Megawatt bringt, allerdings immer noch ziemlich winzig.

Noch rauscht die Mala Reka ungezügelt durch das Tal. Der Felsen auf der einen Uferseite ist haushoch mit Flechten und Moosen bedeckt, die das verdunstete Wasser speichern. Alles ist satt und feucht, es piept und zwitschert. Hier liegt das Hauptrückzugsgebiet des Balkanluchses. Aber nur wenige hundert Meter weiter, bei dem Dorf Debar, vermittelt ein bereits halb fertig gestelltes Minikraftwerk der Elem-Tochter Hydro Energy Group eine Idee davon, wie allein der Bau des Kraftwerks die Natur verändern wird. Schotter und Sand statt grüner Wiesen, Straßen für die Bagger und Tieflader, eingezäunte No-go-Areas. Eine Herausforderung für den Luchs, der im Schnitt ein zusammenhängendes Revier von 250 Quadratkilometern braucht.

Und der Betrieb wird auch andere Arten gefährden. Denn Boskov Most soll vor allem im Schwallbetrieb arbeiten: Wenn wenig Strom gebraucht wird, wird das Wasser gesammelt, um es zum Spitzenverbrauch, etwa mittags an Werktagen, geballt durch die Turbinen zu schicken. Das Flussbett unter dem Damm trocknet also zwischenzeitlich beinahe aus, um dann einmal am Tag wieder überschwemmt zu werden. Eichelmann: „Darauf ist kaum eines der Lebewesen hier eingestellt.“

Für die Energieversorgung aber ist es prima: „Ideal, um die volatile lokale Nachfrage nach Strom, die durch hohe Spitzen charakterisiert ist, zielgenau zu befriedigen“, erklärt EBRD, die den Damm mit 65 Millionen Euro finanzieren soll. Ganz sicher ist man sich aber offenbar noch nicht. Die endgültige Bewilligung der Kredite steht noch aus. Auch die Weltbank hat noch nicht abschließend entschieden, ob sie die geplanten 70 Millionen Euro für Lukovo Pole bereitstellt. Sie hatte sich eigentlich eine Frist bis zum Juli gesetzt. Aber nach den öffentlichen Anhörungen und diversen Eingaben hat sie von Elem eine überarbeitete Umwelt- und Sozialverträglichkeitsprüfung angefordert, wie sie auf Nachfrage erklärt.

Umweltrechtlerin Bujarovska sieht hier deshalb eine reelle Chance, den Bau noch zu stoppen. „Die Regierung überzeugen wir nicht, vielleicht aber die Geldgeber“, sagt sie. „Die verweisen schließlich immer auf ihre hohen Umweltstandards und stehen international unter Beobachtung.“

Beim Energiekonzern Elem zeigt man sich offiziell unbeeindruckt. Im privaten Gespräch sagte ein mit dem Lukovo-Pole-Projekt vertrauter hochrangiger Manager jedoch, er könne sich durchaus vorstellen, dass der Bau zumindest verschoben, vielleicht sogar aufgegeben werde. „Die Bauzeit ist Ende September ohnehin vorbei“, sagte er. Für Elem sei zwar „alles geklärt“. Aber wenn sich die Konditionen deutlich verschlechterten, müsse man das Projekt noch einmal überdenken.

Die Staudammgegner werden sich darauf nicht verlassen. Für den September planen sie eine Tour durch den Nationalpark, um mit der Bevölkerung vor Ort Protest zu organisieren.