„Es ist viel Misstrauen gesät worden“

An den Schulen fehlt eine positive Grundeinstellung, sagt Therapeut Hagemann. Lehrer fühlten sich abgewertet

WOLFGANG HAGEMANN, 54, leitet eine Klinik für Psychotherapie in Eschweiler. 2003 schrieb er ein Buch über Burn-Outs bei Lehrern.

taz: Herr Hagemann, können Schulinspektionen bei LehrerInnen Burn-Outs auslösen?

Wolfgang Hagemann: Das wäre überzogen. Aber sie können der letzte Tropfen sein, um das Fass zum Überlaufen zu bringen.

In Essen ist eine Lehrerin nach dem Besuch der Bezirksregierung gestorben, ein weiterer Lehrer begab sich danach in psychiatrische Behandlung. Sind das Einzelfälle?

Dass jemand nach einer extremen nervlichen Anspannung, die diese Schulinspektion darstellt, verstirbt, ist sicher ein Sonderfall. Aber die Inspektion belastet viele Lehrer. Ich habe Patienten, die schon zwanzig Jahre unterrichten. Sie fühlen sich abgewertet, in ihrer Unterrichtsgestaltung eingeschränkt.

Muss es solche Inspektionen nicht geben, um die Qualität von Schule zu verbessern?

Aus meiner Sicht ist es falsch, Kontrollinstrumentarien dieser Art einzuführen. Es sollte erst einmal wieder eine positive Grundstimmung geschaffen werden. Gegen Lehrer ist so viel Misstrauen gesät worden in den vergangenen Jahren.

Meinen Sie damit die Schulministerin? Sie hat gesagt, Minderleister müssten identifiziert und isoliert werden.

Solche Aussagen lassen auf eine Führungsinkompetenz schließen. Das ist ein ganz schlechter Stil. Wenn ich jemanden in meinem Team habe, der leistungsschwach ist, muss ich bei seinen Stärken ansetzen – statt ihn zu isolieren.

Was bedeutet es für Lehrer, in Internetforen von Ihren Schülern beleidigt zu werden?

Es verlangt dem Lehrer enorm viel Standing ab, mit solchen öffentlich verbreiteten Diffamierungen umzugehen. Einer meiner Patienten sagte: ‚Ich habe da Dinge erfahren, mit denen ich nicht klar komme.‘ Mit einer konstruktiven Kritik im Unterricht könnten die meisten sicher besser umgehen.

Jeder dritte Lehrer soll burn-out gefährdet sein. Woher kommt das?

Es hat ein Paradigmenwechsel stattgefunden, von der Prozessorientierung hin zur Leistungsorientierung. Und deshalb kommt es zu Spaltungsphänomenen. Ältere Lehrer treffen auf junge Kollegen, die im Studium auf Leistung getrimmt werden. Das führt zunehmend dazu, dass ältere Kollegen krank werden und frühzeitig aus dem Beruf ausscheiden. Auch die ständigen Schulreformen setzen den Lehrern zu.

Werden Hauptschullehrer eher krank als andere?

Ich habe Patienten aus allen Schulen. Vielleicht etwas weniger Gymnasiallehrer – weil sie nur gute Schüler unterrichten.

INTERVIEW: NATALIE WIESMANN