Deutsche Loyalitätsparanoia

Wenn es mit der Integration nicht klappt, liegt das auch an den Deutschen, schreibt Omid Nouripour. Und er hat ein paar gute Vorschläge, wie es besser werden könnte

„Wenn ich einem relevanten Teil der Gesellschaft immer wieder sage, dass er nicht dazugehört, brauche ich mich nicht zu wundern, wenn er eines Tages nicht mehr dazugehören will.“ Stimmt. Genau. Es sind nämlich nicht immer nur „wir Migranten“ schuld, wenn es nicht klappt mit der Integration. Man fühlt sich oft schlicht fremd, ausgeschlossen, nicht angenommen in diesem Land. Die positivste Variante, als Kompliment gemeint, ist dabei: „Sie sprechen aber gut Deutsch.“ Eigentlich müsste man darauf sagen: „Danke, Sie auch.“

In Großbritannien etwa ist das ganz anders, wie Nouripour eindrücklich beschreibt. Dort identifizieren sich Jugendliche mit „migrativem Hintergrund“ überdurchschnittlich stark mit dem Königreich. Nouripour bietet allerdings auch an, womit man sich als Migrant oder Nichtmigrant in Deutschland identifizieren könnte: mit der deutschen Verfassung. „Das deutsche Grundgesetz ist eine Ansammlung der rechtlich abstrahierten Lehren aus der Shoah“, schreibt er. „Schon deshalb bin ich Verfassungspatriot.“

Genau. Ich auch. Und auf diese Werte sollte man all die Menschen auch einschwören, die hier leben und einen deutschen Pass haben möchten. Auf das deutsche Grundgesetz kann jeder Deutsche, jeder, der es werden möchte, und jeder, der hier leben will, stolz sein. Es zu achten und zu wahren, kann und muss man jedermann abverlangen. Nicht aber, dass Menschen mit migrativem Hintergrund jedwede Bindung an das Land aufgeben, aus dem sie oder ihre Väter und Mütter stammen.

Wie schreibt Nouripour so schön: „Man kann loyaler deutscher Bürger sein und gleichzeitig chinesische Traditionen pflegen.“ Als Beispiel für die fast schon verbohrt zu nennende Haltung der Deutschen führt Nouripour den deutschen und den britischen diplomatischen Dienst an: Das Vereinigte Königreich schickt die junge Britin pakistanischer Herkunft nach Islamabad. Sie kennt die Sprache und die Sitten besser – klingt logisch. Was machen die Deutschen? Schicken den Deutschen türkischer Herkunft überallhin, nur nicht nach Ankara. Einmal Türke, immer Türke. So jemand kann nicht loyal zum deutschen Staat stehen.

Überhaupt diese ewige deutsche Loyalitätsparanoia. Man könne nicht zwei Pässe haben, weil man sich dann nicht eindeutig zum deutschen Staat bekennen würde, heißt es dauernd. Nouripour schreibt sarkastisch: „Du sollst keine anderen Götter neben Deutschland haben.“ Wieso, so habe auch ich mich schon immer gefragt, kann sich eigentlich niemand vorstellen, dass manche Menschen es schlicht als eine Bereicherung und nicht als Konflikt empfinden, mit oder zwischen zwei Nationalitäten und Kulturen aufzuwachsen? Schließlich handelt es sich dabei ja nicht um zwei Stühle, zwischen die man fallen würde.

Warum man daran zerbrechen oder in einem dauernden Loyalitätskonflikt leben sollte, hat sich mir nie erschlossen. Und ich habe auch nicht das Gefühl, dass meine achtjährige Tochter daran zerbricht, wenn ich ihr zweimal im Jahr ein frohes neues Jahr wünsche: am 31. Dezember und am 21. März, dem iranischen Neujahrstag.

Apropos Zerbrechen und Neujahr. Gestern war iranisches Neujahr. Frohes neues Jahr, Omid Nouripour. Und für mich ist klar: Auch wenn er gestern seiner anderen Identität gefrönt haben sollte – mit Goldfisch und Spiegel und Koran auf dem Gabentisch und wie man das als Iraner halt so macht –, dürfte er heute das deutsche Volk trotzdem als deutscher Bundestagsabgeordneter würdig im deutschen Bundestag vertreten.

KATAJUN AMIRPUR

Omid Nouripour: „Mein Job, meine Sprache, mein Land. Wie Integration gelingt“. Herder Verlag, Freiburg im Breisgau 2007, 192 Seiten, 14,90 Euro