„Assad ist wie Gaddafi“

SYRIEN Der Publizist und Journalist Abdul M. Husseini erklärt, warum die Proteste gegen die Regierung immer weiter eskalieren

■ Der 61-Jährige ist Journalist und Publizist libanesischer Abstammung. Er hat sich in zahlreichen Arbeiten mit der arabischen Welt beschäftigt.

INTERVIEW GEORG BALTISSEN

taz: Etwa 250 Menschen sollen bislang in Syrien getötet worden sein. Warum geht das Regime mit einer solchen Brutalität vor?

Abdul M. Husseini: Ich glaube, das ist Ausdruck einer Panikattacke angesichts der Siege der Revolutionen in Tunesien und in Ägypten. Man dachte, dass Syrien gegen den revolutionären Virus immun sei. Präsident Baschar al-Assad sagte vor einigen Wochen, dass es keinen Grund für Aufruhr und Revolutionen in Syrien gebe, weil er die richtige Politik vertrete.

Nun hat er aber Reformen angekündigt, eine neue Regierung soll kommen. Wie reformfähig ist das Regime?

Das ist eine sehr komplizierte Frage. Wenn man reformfähig sein will, muss man auch Reformen wollen. Nach seiner jüngsten Rede hat man aber den Eindruck, dass Assad sich noch nicht für Reformen entschieden hat. Er hat in Aussicht gestellt, dass der Ausnahmezustand aufgehoben wird, aber keinen konkreten Schritt unternommen. Das Problem ist, dass das Regime in seinem jetzigen Zustand nicht reformierbar ist.

Wer steht denn noch hinter dem Regime?

Offiziell ist die Basis der Macht die Baath-Partei mit ihren knapp zwei Millionen Mitgliedern. Das ist nur die Fassade. Das Land wird von einer korrupten Diktatur beherrscht, die alle Bereiche des politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Lebens kontrolliert. Als Person hat Assad viel Macht, die er von seinem Vater geerbt hat. Er glaubt, dass er eine nationale Politik betreibt, wenn er eine antiisraelische Politik verfolgt, sich mit der Hisbollah und dem Iran verbündet und so vorgibt, die Nation, den Staat und Syrien zu vertreten.

Jüngst sind Oppositionelle indirekt zu Gesprächen etwa über die Tageszeitung Tischrin aufgefordert worden.

Die Opposition erfährt nur Unterdrückung. Die Aufforderung zu Gesprächen kommt nur von unbedeutenden Personen des Regimes. Die syrische Politik ist im Moment sehr doppelzüngig. Einerseits sagt man fürs Ausland, man wolle Reformen und Gespräche, andererseits schickt man die Schlägertrupps und die Sicherheitskräfte, die sehr brutal vorgehen. Das Angebot zu Gesprächen ist nicht ernst, solange es nicht von Assad persönlich und in klarer Form kommt.

Wer verkörpert denn aktuell die Opposition in Syrien?

Es gibt verschiedene Kräfte, aus denen sich die Opposition rekrutiert. Da sind zum einen die traditionellen linken kleinen Gruppierungen, die seit Jahrzehnten gegen das Regime stehen. Da ist zum anderen die Muslimbruderschaft, die in Syrien verboten ist. Wer Mitglied dieser Partei ist, kann nach Paragraf 49 des syrischen Strafrechts mit dem Tode bestraft werden. Von daher weiß man nicht, wie stark diese Organisation überhaupt ist. Dann sind da noch die Vertreter der Zivilgesellschaft, die 2000 für Reformen plädiert haben, bis auch sie fünf Jahre später vom Regime verfolgt und inhaftiert wurden. Und schließlich gibt es noch die gebildete Jugend, die im Internet sehr aktiv und informiert ist, die sich austauscht, vergleichbar mit den anderen arabischen Staaten.

Steht da eine sunnitische Mehrheit gegen die alawitische (schiitische) Minderheit, die an der Macht ist?

Der Konflikt ist in Syrien zuallererst einmal politisch. Es geht um den Kampf gegen die Diktatur, um die Rechte des Volkes auf Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit, um die Aufhebung des seit 1963 geltenden Ausnahmezustandes und die Änderung des 8. Artikels der syrischen Verfassung, der die führende Rolle der Baath-Partei in Staat und Gesellschaft festschreibt. Und es geht nicht zuletzt um die Würde der Menschen. Der Begriff Menschenrechte kommt im Vokabular des Regimes gar nicht vor.

Und die religiöse Frage?

Syrien ist traditionell ein Land mit sehr vielen Nationalitäten und Konfessionen. Hier leben Christen, Sunniten, Schiiten, Araber, Kurden, Drusen, Tscherkessen, Armenier. Erst mit dem Putsch der Baath-Partei unter Hafis al-Assad Anfang der 70er Jahre kam eine Offiziersgruppe aus der alawitischen religiösen Minderheit an die Macht. Aber das Regime hat nie eine konfessionelle Politik offen verfolgt, sondern war immer von einer nationalistischen Ideologie geprägt. Selbst die Muslimbrüder spielen nicht die religiöse Karte. Das Regime will aber suggerieren: Wenn wir nicht an der Macht bleiben, dann werden religiöse Konflikte ausbrechen.

Kann das Assad-Regime denn auf Verbündete zählen?

Das syrische Regime steht an der Seite Gaddafis und vertritt die gleiche Position wie die Saudis in Bahrain. Jüngst hat man auch versucht, die Beziehungen zu Jordanien zu verbessern, um gemeinsam gegen die „Verschwörung“ vorzugehen. Man sieht in der gesamten arabischen Welt, dass die Diktaturen und Monarchien zusammenstehen, dass sie gemeinsame Sache machen. Die Hisbollah und der Iran sind für Syrien strategische Verbündete. Das Problem besteht darin, dass sich ein direktes Einmischen von Iran oder Hisbollah verbietet, da es dem Regime mehr schaden als nutzen würde.

Wie muss man sich die Entwicklung in den kommenden Tagen und Wochen vorstellen?

Ich bin da pessimistisch. Von Tag zu Tag nimmt die Repression zu. Bislang stand das Regime nicht vor einer existentiellen Bedrohung. Niemand hat zu Beginn der Unruhen vor vier Wochen den Sturz des Regimes gefordert. Assad hat in seiner Rede klar gesagt, dass die „Verschwörung“ von außen komme, dass Israel und die USA verantwortlich seien. Aber die Proteste sind seitdem angewachsen. Ich glaube, dass das Regime sich für die Gaddafi-Variante entschieden hat, sofort mit Gewalt vorzugehen.