neues aus neuseeland: trällernder vogel im radio von ANKE RICHTER
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Kinder brauchen ihre Einschlafrituale, Erwachsene feste Gewohnheiten am Morgen. Auch wenn täglich das Murmeltier grüßt: Jeder steht gern in geordneten Verhältnissen auf. Kaffee, Zahnpasta, Knautschzonen im Spiegel, Brötchenkrümel auf der Zeitung – all das folgt einer stillen Choreografie, die um diese unchristliche Zeit überhaupt keine Abweichungen verträgt.

Wenn man zu den Millionen Kiwis zählt, bei denen zur morgendlichen Zeremonie das Radio dazugehört, dann ist ein Moment in der Frühe besonders heilig: die halbe Minute vor den Morgennachrichten. Dann nämlich zwitschert, trällert und tiriliert es aus dem Äther. Egal, ob amerikanische Außenminister in die Luft gesprengt werden, ob der Irak noch steht, ob Britney Spears Schamhaarglatze trägt oder sich das Eis von den Polkappen löst – erst einmal ist der Tui-Vogel dran. Wahlweise die Kereku-Taube, der Kakapo, der Fantail, ein Pinguin oder der scheue Kiwi. Vor alle Schreckensnachrichten hat Radio New Zealand den bird call gesetzt und rückt damit das Weltgeschehen dorthin, wo es hingehört: in respektvollem Abstand hinter die Natur.

Das morgendliche Vogelgezwitscher im Radio gibt es seit 1974 und ist Nationalheiligtum. Nicht nur für Ornithologen. Wenn das Klagelied des Moreporks ertönt, Neuseelands einziger einheimischen Eule – die andere, nichteinheimische stammt doch glatt aus Deutschland –, dann kriegt ein echter Kiwi schnell feuchte Augen.

Als Radio New Zealand vor zwei Jahren ankündigte, es wolle als Modernisierungsmaßnahme den bird call abschaffen, da kam es fast zum Bürgerkrieg: Alles darf man uns nehmen, aber nicht die liebliche Stimme des Kea, auch wenn dieser streng genommen die reinste Pest ist: Er stürzt sich an den einschlägigen Ausflugspunkten in den Bergen auf Rucksäcke, klaut Schuhe und Stullen, treibt Skifahrer in den Selbstmord und zerhackt Autotürengummis. Egal, der Sender wurde so lange mit Anrufen und E-Mails empörter Hörer bombardiert, bis er versprach, dass es vor den Nachrichten weiter zwitschert und gurrt.

Da Vogelstimmen im Lande anscheinend so beliebt sind, heckten Werbefritzen vor ein paar Wochen eine neue Kampagne für den Nationalsender aus. „Sounds like us“ (Das klingt wie wir), verkündete eine flotte Stimme, nachdem zuvor ein einheimisches Federtier seine Stimmbänder testete. Mit dieser klangvollen Botschaft unterbrach der Sender mehrmals pro Stunde sein Programm – was wiederum etliche Hörer erboste, die sich über das nervige Geträllere beschwerten.

Kim Hill, bissige Moderatorin mit Reibeisenstimme und Haaren auf den Zähnen, nahm in ihrer Radioshow am Samstagmorgen denn auch prompt die Eigenwerbung ihres Hauses auf die Schippe. „Sounds like us“, verkündete sie trocken und spielte als Jingle das Knattern eines Rasenmähers ein, der nicht anspringen will. Mal blökte ein Schaf zum Erbarmen, mal kreischte eine Motorsäge. Radio New Zealand war not amused und verpasste der frechen Kim einen Anpfiff. Doch die Hörer stärkten ihr den Rücken – die dämliche Werbekampagne wurde abgesetzt. Wenn es jetzt im Radio zwitschert, dann weiß man sicher: Es ist morgens.