herr tietz macht einen weiten einwurf
: Meinhofs Höhenflug

FRITZ TIETZ würdigt den Flop des Herrn Fosbury und misst seine Teppichstange im Garten aus

Fritz Tietz ist 48 Jahre alt, lebt als Nachfahre ostpreußischer Einwan- derer in der Nordheide und treibt gelegentlich Sport

Dick Fosbury, Erfinder des gleichnamigen Flops, ist unlängst sechzig geworden. Im Radio widmeten sie der Hochsprunglegende einen kurzen Beitrag; einen zu kurzen, um genau zu sein. Denn mit zwei Minuten achtzehn, wie ich eigens mitgestoppt habe, fehlten dem Beitrag am Ende ganze sechs Sekunden. Erst dann hätte seine Länge zahlenmäßig der Metermarke von 2,24 entsprochen: die Höhe bekanntlich, mit der Fosbury 1968 in Mexiko so sensationell, weil als erster Flopspringer überhaupt, olympisches Gold gewann. Schade, aber offenbar legen sie beim Radio keinen Wert auf solche kleinen zahlenallegorischen Spielereien. Oder sollten die fehlenden sechs Sekunden ein dezent versteckter Fingerzeig auf Fosburys Geburtsdatum (6. März) gewesen sein?

Als ich Freund Hein davon erzählte, meinte der, dass dann der Radiobeitrag zu seinem 60. Geburtstag eigentlich zwei Minuten dreißig dauern müsste. – Wieso das? – Weil sein Rekord im Hochsprung, als er ihn während des Studiums noch fleißig betrieb, bei einem Meter neunzig gelegen habe. Einsneunzig aber ergebe nun mal in Minuten ausgedrückt 2’30’’. Im Übrigen, so Hein weiter, sei diese, seine Rekordhöhe exakt die, mit der die berühmte deutsche Fosburyfloperin Ulrike Meinhof 1972 olympisches Gold holte. – Ulrike Meinhof? – Quatsch, er meine natürlich Ulrike Meyfarth. Andauernd würde er diese beiden Ulrikes verwechseln. Ich darauf: Waren es nicht sogar ein Meter zweiundneunzig, die Ulrike Meyfahrth damals in München … ? Hein wusste es besser. Die Goldmedaille hatte sie sich bereits mit den einsneunzig ersprungen. Sie wollte sich dann noch an der damaligen Weltrekordhöhe von einszweiundneunzig versuchen, packte sie an diesem Tag aber nicht. Mal sehen, so Hein dann noch, wie lange der Radiobeitrag zu Ulrike Meinhofs Sechzigsten sein wird. – Meinhof? – Ach, Quatsch …

Keine Ahnung, wie lang dereinst der Radiobeitrag über mich sein wird. Wenn ich denn überhaupt einen kriege, dann sicher nicht wegen meiner Leistungen im Hochsprung. Tatsächlich hatte ich da sogar mal einen Wettkampf, und das kam so: Der hier schon häufiger erwähnte Dieter Halle, mein ehemaliger Sportlehrer, fing mich eines Morgens noch vor Unterrichtsbeginn auf dem Schulflur ab. Ob ich zufällig meine Sportsachen dabei hätte. Da wir an diesem Tag keinen Sport hatten, hatte ich nicht. Egal, so darauf Herr Halle, er würde mir schon was Passendes besorgen. Hauptsache, ich stünde ab der ersten großen Pause zur Abfahrt auf dem Lehrerparkplatz bereit. Er werde mich dann mit seinem Auto ins Bielefelder Rußheidestadion bringen, wo an diesem Tag die Leichtathletikmeisterschaften der Schulen stattfänden. Er, Halle, habe es leider versäumt, die Sportcracks unserer Schule (Wagemann, Niedergerke usw.) rechtzeitig dafür zu rekrutieren. Nun ständen die wegen wichtiger Klassenarbeiten kurzfristig nicht zur Verfügung. Ob ich freundlicherweise einspringen könne.

Ich war so freundlich. Und trat zwei Stunden später, angetan mit einer viel zu knapp sitzenden Leihhose und einem Paar ausgelatschter Turnschuhe aus dem Fundsachenschrank des Hausmeisters, als einziger Vertreter meiner Schule bei den Stadtmeisterschaften im Fünfkampf an. Zu dem, wie ich jetzt erst realisierte, neben Sprint, Weitsprung, Kugelstoß und 1.000-Meter-Lauf auch der Hochsprung gehörte – eine Disziplin, in der ich mich bis dahin noch nie versucht hatte (und es auch hinterher nie wieder tat). Ich sprach beim Riegenführer vor. Ob er mir den Hochsprung wegen der erwartbar immensen Blamage nicht erlassen könne. Doch der Mann mit der Trillerpfeife scheuchte mich fort. Ich sollte mich wenigstens darum bemühen, egal wie, über die Latte zu kommen. Ergebnis: dreimal die Anfangshöhe gerissen. Höhnisches Gelächter. Null Punkte.

Beim Müllwegbringen vorhin die Teppichstange im Garten taxiert. Dann eigens einen Zollstock geholt, um deren Höhe exakt auszumessen: zwo Meter elf. Spaßeshalber Anlauf genommen und mal einen Sprung angedeutet. Unglaublich! Wie manche so hoch springen können. Und das sogar rückwärts. Nicht zu fassen!